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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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Fürst Bolkonski hätte sich nie so verhalten. Daher ist er auch kein Bonaparte geworden. Aber ich werde einer. Da ist es, mein Toulon.« Lentotschkin zeigte wieder mit dem Kopf auf die wunderbare Kugel. »Von diesem Stützpunkt aus kann ich die andere Kugel, die noch viel größer ist, aus den Angeln heben. Ach, ich hätte Ihnen damals mit der Stelze richtig eins überziehen sollen! Nur sechs Nächte habe ich mit der Kugel verbracht. Und jetzt muss ich mich davonmachen. Macht nichts, das, was ich jetzt habe, reicht für meine Zwecke.«
    Er schlug sich an die Brust und blieb vor dem schwarzen Schlund des Stollens stehen. Er führte die Hand an den Mund und leckte die Handfläche ab – sie war voller aufgeplatzter Schwielen, aus denen das Blut tropfte. Doch nicht die Schwielen erregten Frau Lissizynas Aufmerksamkeit, sondern der merkwürdige längliche Gegenstand, der in Alexej Stepanowitschs Fingern blitzte.
    »Was haben Sie denn da?«
    »Das?« Er zeigte ihr einen schmalen Keil, der mit glitzernden Pünktchen übersät war. »Das ist eine mit Diamantstaub beschichtete Feile. Nur damit kann man Platin-Iridium abschaben. Die habe ich mir von unserem guten Ljampe ausgeliehen. Er ist natürlich ein kompletter Strohkopf, aber für die Idee des Kernspalters und die Analyse der Meteroritenmaterie bin ich ihm dankbar.«
    Polina Andrejewna verstand weder, was das für eine Idee war, noch was »Meteoritenmaterie« bedeutete, doch sie fragte nicht weiter – erst jetzt erkannte sie, das Lentotschkin ihr mit seinem scheinbar ziellosen Herumlaufen in der Höhle den einzigen Fluchtweg abgeschnitten hatte.
    »Werden Sie mich auch umbringen?«, fragte sie leise, und sie starrte wie gebannt auf die funkelnde Feile. »Wie Lagrange, wie Feognost, wie Ilari?«
    Aljoscha presste die Hand an die Brust, als wolle er sich rechtfertigen.
    »Wenn ich jemanden umbringe, dann nicht ohne Grund, sondern weil es nicht anders geht. Lagrange war selbst schuld, er hatte einen so harten Kopf, dass ich ihn nicht betäuben konnte, ich musste ihn erschießen. Feognost hinderte mich daran, in die Einsiedelei zu gelangen, er hielt meinen Platz besetzt. Und für Ilari hatten die Brüder doch ohnehin schon die Totenmesse gelesen . . .«
    Seine weißen Zähne blitzten, und es wurde deutlich, dass der erfinderische Jüngling sich keineswegs rechtfertigte, sondern dass er sich lustig machte. Doch das Lächeln verschwand sogleich wieder, und er fragte mit ernster, erstaunter Stimme:
    »Eines verstehe ich nicht. Was haben Sie denn erwartet, als Sie hierher kamen? Sie wussten doch bereits, dass Sie hier nicht den schwächlichen Ljampe, sondern mich finden würden! Haben Sie auf meine Ritterlichkeit gegenüber einer Dame gehofft? Das war vergebens. Sosehr ich es auch wünschte, aber ich kann Sie nicht am Leben lassen, Schwester. Ich brauche noch vierundzwanzig Stunden, um vom Archipel zu verschwinden.«
    Er seufzte betrübt, blinzelte aber gleich danach und zeigte mit einem breiten Lächeln seine Zähne – er hielt sie erneut zum Narren.
    »Um die ganze Wahrheit zu sagen, selbst ohne diese Überlegung hätte ich Ihnen den Garaus gemacht. Sie tun mir ganz und gar nicht Leid, Sie durchtriebene Maus. Was brauche ich bei meinem künftigen wissenschaftlichen Ruhm eine Zeugin wie Sie?«
    Alexej Stepanowitsch hob die Hand mit der Feile hoch, und die Feile sprühte bunte Funken, genau wie der Zauberstab im Märchen.
    »Schauen Sie nur hin, Mademoiselle Pelagia. Ein wunderschöner Traum. Von solcher Schönheit den Tod zu empfangen – selbst Kleopatra hätte Sie beneidet. Und so scharf, sie wird Ihren rothaarigen Kopf ohne weiteres von einem Ohr zum ändern durchbohren. Ich werde Sie auf den Stapel legen, unter einen der vertrockneten Gerechten.« Träumerisch kniff Aljoscha die Augen zusammen. »Die Eremiten werden es nicht sofort bemerken. Erst wenn Sie verfaulen und anfangen zu stinken. Schließlich sind Sie keine Gerechte, also auch nicht unvergänglich!« Er brach in schallendes Gelächter aus. »Und für Sie ist es ein Trost. So kommen Sie wenigstens nach dem Tod unter einen Mann zu liegen.«
    Polina Andrejewna wich ein Stück zurück, die Reisetasche wie einen Schild vor die Brust gepresst. Voller Panik tasteten ihre Finger nach dem Verschluss.
    »Gehen Sie, Alexej Stepanowitsch. Laden Sie nicht noch mehr Schuld auf Ihre Seele, Sie haben auch so schon genügend Unheil angerichtet. Ich schwöre Ihnen in Christi Namen, dass ich vor morgen Nachmittag drei Uhr nichts
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