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Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt

Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt

Titel: Zwoelf Verstossene auf Wallfahrt
Autoren: Franz Seinsche
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Der Plan der Verstoßenen

    Vor dem Krieg waren die Bauern von Obermauelsbach jedes Jahr nach Heiligkreuz gewallfahrtet . War die Ernte eingefahren, dann ging aus jedem Hause mindestens einer mit. Fünf Tage wanderten die Bauern den weiten Weg über die Berge und durch die Täler, durch manchen Wald und über manchen Fluß. Zwei Tage blieben sie in Heiligkreuz, und dann mußten sie wieder fünf Tage zurück. Die Wallfahrt nach Heiligkreuz war in jedem Jahr ein großes Ereignis. Als aber der Krieg kam, mußten die Frauen daheim alle Arbeit und alle Sorgen alleine tragen. Die Wallfahrt nach Heiligkreuz kam in diesen Jahren nicht zustande. Auch in den ersten Jahren nach dem Kriege war die Not noch so groß, daß jeder Vorschlag, bald wieder nach Heiligkreuz zu gehen, damit abgetan wurde: es ist kein Geld da, wir haben nichts anzuziehen, wir sind zu arm und auch zu müde, einen so weiten Weg zu machen. Weil aber die Not kein Ende nahm und auch das Geld von Tag zu Tag wertloser wurde und damit die Sorge immer größer, wußten die Bauern von Obermauelsbach schließlich nur noch einen, der helfen konnte, und das war Gott.
    Als der Herbst des Jahres 1923 gekommen war, waren in einer Abendstunde ein paar Bauern in die Stube ihres Pfarrers gekommen und hatten ihm gesagt, daß sie dieses Jahr die Wallfahrt nach Heiligkreuz wieder wagen wollten. Vielleicht habe dann der Herrgott ein Einsehen.
    Viele Bauern wollten wallfahren, in einer heiligen Entschlossenheit, mit einem ganz großen Gottvertrauen und auch mit einer ganz tiefen Demut, die alle Not ergeben in die Hände Gottes legte. Einige waren in diesem Dorfe Obermauelsbach, die hatten neben Gottvertrauen und Demut zu gleicher Zeit eine ganz unbändige Freude im Leibe. Das waren die sechs Meßbuben von Obermauelsbach, die der Herr Pfarrer für stark und gesund genug hielt, den weiten Weg nach Heiligkreuz unter ihre jungen Füße zu nehmen.
    Für diese sechs Meßbuben bedeutete die Wallfahrt einfach etwas ganz Ungeheuerliches. Als das letztemal die Obermauelsbacher dorthin gepilgert waren, waren diese sechs Burschen noch zu klein gewesen. Aber je mehr sie daheim an den Winterabenden davon gehört hatten, um so größer war auch im Laufe der Jahre das Verlangen in ihren Herzen geworden, mit dabei sein zu können. Sie sollten das heimatliche Tal verlassen dürfen, um Dörfer und Städte zu sehen, die sie kaum dem Namen nach kannten, Dome, Türme, Flüsse und Ströme zu sehen, von denen ihnen bisher nur der Herr Lehrer hier und da einmal ein Bild gezeigt. Man versteht, daß sie kaum noch ruhig schlafen konnten.
    Aber der Pfarrer von Obermauelsbach hatte mehr als sechs Meßbuben. Es blieben noch ein ganzes Dutzend Jungen übrig, die auch gehofft und gewartet hatten, die gebetet und gebettelt hatten, man möge sie nicht daheim lassen, sie seien auch groß und stark genug, den weiten Weg auszuhalten. Und sie alle durften nicht mit, weil auch in allen früheren Jahren niemals mehr als sechs Meßbuben die Pilgerfahrt nach Heiligkreuz begleitet hatten. Diese Zwölf konnten auch nicht schlafen aus Bitterkeit und Trauer.
    Was half da alles Vertrösten: »Ihr seid im nächsten Jahr mit dabei«, wenn sie sich doch darauf gefreut hatten, in diesem Jahre dabei zu sein. Je näher der 3. Oktober kam, um so heller leuchteten die Augen der sechs »Auserwählten«, und um so finsterer wurden die Gesichter der Zwölf, die zurückgesetzt waren. Was Wunder, daß die Zwölf sich zu einem Bund der »Verstoßenen« zusammentaten! Den ganzen Tag hockten sie draußen am Mühlanger bei Willem, der dort die Kühe des ganzen Dorfes hüten mußte. Er war jetzt gleichsam das Oberhaupt der »Verstoßenen«. Selbstverständlich waren die sechs »Auserwählten« der Reihe nach bereits verprügelt worden. Aber das hatte an der einmal bestehenden Tatsache nichts mehr ändern können, sondern nur zur Folge gehabt, daß der eine oder andere der »Verstoßenen« dafür von seinem Vater noch deftigere Prügel bezogen hatte. Nun sah man keinen Ausweg mehr, und es war schon der 1. Oktober.
    Der 1. Oktober war ein wunderschöner Tag. Hell schien die Sonne ins herbstlich bunte Tal des Mauelflusses , und die Bauern meinten bei der Arbeit »So ein Wetter! Das gibt eine gute Wallfahrt .« Die sechs »Auserwählten« fetteten sicher schon das sechste Mal ihre Stiefel ein, prüften, ob Rock und Hose, Hemd und Strümpfe, Rosenkranz und Gebetbuch, auch alles wirklich hübsch beisammenliege . Die zwölf »Verstoßenen« aber
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