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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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je nachdem wie der Wind blies. Da sie das Anwesen damals billig erstanden hatte, war genug Geld übrig geblieben, um das Wohnhaus zu sanieren und Azzurro zu sich zu nehmen. Ein Bauarbeiter aus dem Nachbardorf hatte ihr geholfen, die marode Elektrik im Haus und im Stall zu erneuern, außerdem hatten sie Pferdeboxen in den Stall gebaut.
    Als Annie den Stall betrat, wieherte Azzurro, begrüßte sie, indem er den Kopf schüttelte und schnaubte. Sie ging an den anderen Pferden vorbei und tätschelte Azzurros Nacken. Er ahnte, dass sie bald ausreiten würden. Im Winter war weniger auf dem Hof zu tun, so hatte sie mehr Zeit, sich um den Hengst zu kümmern. In den Sommerferien wimmelte es von Kindern und Jugendlichen, die Reitunterricht nahmen. Einige verbrachten ihre gesamten Ferien auf dem Hof.
    Nachdem Annie alle Pferde versorgt hatte, ging sie zum Wohnhaus zurück, ihre Stiefelabdrücke auf dem Weg waren bereits zugeschneit. Autos fuhren über die Landstraße zur Autobahnauffahrt bei Zingsheim. Da der Hof weit genug von der Straße entfernt lag, hörte man wenig Verkehrslärm. Nachrichten liefen im Radio, Annie deckte den Frühstückstisch. Als sie das Frühstück vorbereitet hatte, rief sie Philip. Es dauerte immer, bis er runterkam, sich verschlafen und etwas missmutig an den Tisch setzte. Während er sein Müsli aß, schmierte sie ihm Pausenbrote. Sein Handy klingelte, er sprach kurz mit einem Freund, der an der Haltestelle auf ihn wartete. Als Philip das Haus verließ, um zum Bus zu gehen, drückte und küsste sie ihn, was er nicht mehr so gern mochte wie noch vor Kurzem. Er wollte auch lieber allein zur Haltestelle gehen. In einigen Jahren würde er bestimmt ganz weggehen, dachte Annie. Die Bushaltestelle lag einen halben Kilometer vom Hof entfernt, und sie machte sich Sorgen, da man bis zur Haltestelle am Straßenrand entlanglaufen musste.
    Während sie zum Stall ging, verließ Philip die Hofeinfahrt. Es sah danach aus, als würde es den ganzen Tag schneien. Sie hatte ihre Reitkleidung angezogen und führte Azzurro aus dem Stall. Autos fuhren langsam über die Landstraße, ihre Scheinwerfer tasteten sich durch den Schnee. Der Schulbus hatte wegen der Wetterverhältnisse einige Minuten Verspätung gehabt. Sie war beruhigt, dass Philip nun mit seinen Freunden im warmen Bus saß.
    Azzurro wieherte, schüttelte seine Mähne, war ungestüm wie ein Fohlen. Annie ritt zwischen Scheune und Wohnhaus über den Hof, kam an dem alten Campingwagen beim Reitplatz vorbei, den sie vor zwei Jahren angelegt hatte. Die Gastkinder schliefen gerne im Campingwagen. Hinter dem kleinen Reitplatz erstreckten sich Wiesen und Feldgehölze, das Land bis zu den Windkrafträdern hatte sie günstig von der Gemeinde gepachtet. Auf dem Schneefeld drehten sich die Schatten der Windradflügel. Azzurro war in einen leichten Trab gefallen. Ihre Wange lag an seinem Hals, sie glaubte, ihre Herzen schlügen im gleichen Takt, alles schlüge im Takt einer einzigen Melodie. Annie dachte in diesem Moment an Bellarmin und fragte sich, wo er jetzt gerade war, was er machte. Sie dachte an Rosarius. Die Feldwege lagen unter einer dichten Schneedecke, einige verliefen dort, wo einst Römerstraßen gewesen waren, Straßen eines Imperiums, von dem er ihr erzählt hatte.
    Als es mit Rosarius zu Ende gegangen war, hatte sie nicht mehr auf der Risahöhe gearbeitet. Damals konntesie ihn nur selten besuchen. Philip war noch klein und sehr kränklich gewesen, sie musste sich um ihn kümmern, und auch auf dem Hof gab es viel zu tun. Als Rosarius im Sterben lag, hatte man sie angerufen. Er lag abgemagert im Bett, hatte ein schmales, eingefallenes Gesicht, das mit roten und blauen Äderchen übersät war. Er hatte kaum Haare auf dem Kopf – eine spiegelglatte Glatze mit zartem, grauem Flaum – wie früher, als Delamot ihm alle Haare abrasiert hatte. Die Schwester sagte, er sei aufgrund seines Diabetes erblindet, sie hatte Rosarius einen Rosenkranz in die Hand gelegt und dann das Zimmer verlassen. Annie setzte sich zu Rosarius, er summte wieder, sagte, nun lägen seine Haare für immer unten in Delamots Keller bei den Mäusen. Er schmunzelte, dann murmelte er wieder Straßennamen, als hätte er niemals damit aufgehört. Annie hielt seine Hand bis zuletzt. Sie wusste, dass er nun sterben würde. Er drückte schwach ihre Finger. «Peeh,
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