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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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Grashalmen, in Nasen schnüffelnder Hunde hängen, Partikel, die Liebende auf ihren Lippen beim Küssen schmecken, die dann wieder im leisen Hauch aufwirbeln werden, über die ganze Erde hinweg, eine weite Reise, bis irgendwer mich einatmen wird, ohne dass er es merkt, und nichts mehr von dem da ist, was vorher war.
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    Annie wusch die alten Menschen, zog die Betten ab, achtete darauf, dass sie ihre Tabletten nahmen, wechselte Windeln oder Betteinlagen, holte frische Handtücher. Zuerst hatte sie sich vor den Gerüchen geekelt, den Exkrementen, vor welker Haut, aber mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt, nahe am Verfall und Tod zu arbeiten. Es schien sie verändert zu haben. Annie machte meist Spät- oder Nachtdienst, ihre Kolleginnen waren verheiratet, hatten kleine Kinder und zogen daher Tagesschichten vor. Sonst hatte sie nicht viel mit ihnen zu tun, redete nur das Nötigste, sie galt als etwas sonderbar. Vielleicht lag es an Rosarius, dass sie noch im Altenheim arbeitete, vielleicht wollte sie wissen, was seine Geschichte gewesen war, oder vielleicht auch wegen Bellarmin, mit dem sie ab und zu sprach, zu dem sie sich hingezogen fühlte, obwohl er zehn Jahre jünger war als sie. Bellarmin hatte sein Studium unterbrochen und arbeitete seither als Hausmeister auf der Risahöhe, mehr wusste sie nicht von ihm.
    Annie verstaute mit Bellarmin den Nachlass einer vor Kurzem verstorbenen Bewohnerin. Sie trugen die Habseligkeiten aus dem Zimmer der Frau durch den Park in die Remise, ein altes Gemäuer, in dem dicht gedrängt ausgemusterte Schränke standen. Schränke mit Kleidern sowie Kisten, Koffer, Bücher Verstorbener, die in aufeinandergestapelten Kartons an der Ziegelsteinwand verrotteten. Annie holte Kleidungsstücke aus einemKarton, probierte manches an, betrachtete sich im langen Lodenmantel in einem fleckigen Kleiderschrankspiegel, drehte sich wie im Tanz, hängte dann den Mantel in einen Schrank und steckte Mottenkugeln in die Manteltaschen. Vielleicht könnte sie den Mantel im Winter brauchen. Annie versorgte sich gelegentlich mit Kleidung aus dem Nachlass der Verstorbenen. Bellarmin gab ihr ein Heft, das er in einem Karton gefunden hatte, es enthielt die akribischen Reisenotizen und Tagebucheintragungen eines Archäologen, der im Orient eine Römerstraße gesucht hatte. Bellarmin sagte, er wolle den ganzen Nachlass der alten Leute in der Remise sichten und ordnen, Regale für die Bücher bauen, da sie sonst in der Feuchtigkeit bald nass und dann zerfallen würden. Er hatte Annie versprochen, alles, was Rosarius gehörte, für sie beiseite zu legen. Annie wusste noch nicht, was sie damit anfangen sollte, wollte die Sachen aber dennoch haben, wollte nicht, dass sie in die Hände von Lambertz gerieten. Vielleicht bargen sie ja ein Geheimnis, dem sie auf die Spur kommen konnte.
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    Am 12. September 1939 übernachtet der Archäologe in Montpellier in einem kleinen Hotel nicht weit vom Place de la Comédie entfernt. Er hört abends in der Hotelbar, dass die Deutschen in Polen einmarschiert sind. In sein Tagebuch notiert er, er fühle sich, als sei er im letzten Moment dem tiefen Rachen eines fürchterlichen Untiers entkommen. Am nächsten Tag fährt er mit seinem umgebauten Bus weiter nach Cordoba. Der Archäologe beabsichtigt, zuerst nach Marokko zu fahren, von dort durch Algerien nach Tunesien, Libyen und Palästina, er folgt alten römischen Militär- und Handelsstraßen durch die Wüste. Er sucht nach antiken Straßen, die nach seinen Studien einst existiert haben, eine dieser Straßen führte von Resafa, einem Kastell in der Syrischen Wüste, zum Roten Meer und ist unter dem Wüstensand spurlos verschwunden. In Algeciras setzt der Archäologe zunächst mit der Fähre über nach Tanger, fährt von dort auf Landstraßen weiter bis Tetouan, kommt in dichtem Nebel in Larache an. Am nächsten Morgen wartet er, bis die feuchten Zeltplanen getrocknet sind, baut das Zelt ab und fährt nach Essaouira. Am darauf folgenden Tag macht er Notizen, kurze Eintragungen, manchmal nur einzelne Wörter, vermerkt Dinge, die er wahrgenommen hat und die ihm bedeutsam erscheinen. Einmal schreibt er, das ganze Leben bestünde aus nichts als diesen Wahrnehmungen, Spuren, die sich irgendwann in der Zeit verlieren. Er beschreibt seine Fahrt durch die Berge um Agadir. Als er das Ballungsgebiet von Agadir
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