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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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verlässt, wird die Straße bucklig, und der Bus schwankt durch große Löcher. Die Sommerhitze flimmert über der ebenen Landschaft zwischen Hohem Atlas und Anti-Atlas. Die Straße an der atlantischen Küste im Westen Afrikasführt mal am Meer entlang, dann wieder ins Landesinnere. In den Straßendörfern stehen lehmrote Häuser, in denen sich im Erdgeschoss eine Werkstatt, ein Geschäft, Wohnungen mit verschlossenen Läden oder vergitterten Fenstern befinden, darüber aufgemauerte Etagen ohne Dach und mit leeren Fensteröffnungen. Weiter entfernt von der Landstraße sind die Häuser einstöckig und von hohen, mit Stroh durchmischten Lehmmauern umgeben. Am 27. September 1939 erreicht der Archäologe Mhamid in Marokko, übernachtet in einem schäbigen Hotel am Stadtrand, kauft am nächsten Tag Wasser, füllt seine Reservekanister mit Diesel auf und baut seinen Bus für die Sandpisten der Wüsten um. In sein Tagebuch schreibt er, die antiken römischen Straßen seien, wegen ihres schnurgeraden Verlaufes, auch nach Jahrhunderten im Gelände noch wiederzufinden, denn ein langer gerader Schnitt durch die Landschaft hinterlasse immer eine Spur. Die antiken Architekten verwendeten zum Nivellieren ein als Chorobat bezeichnetes Gerät. Mit ihm konnte man exakt gerade Straßen planen und bauen. Die nachantiken Straßen, die mittelalterlichen Straßen und die Straßen der Neuzeit wurden gewunden angelegt und nicht mehr schnurgerade, um auch Nahziele, kleine Dörfer und Städte zu erreichen. Die Welt verändert sich, sie wird immer mehr zu einem unentwirrbaren Knäuel, einem Labyrinth von Wegen und Straßen. In seinem schäbigen Hotelzimmer betreibt der Archäologe Kartenstudien. Danach werden seine Eintragungen kein Datum mehr haben. Alles sei in der Wüste zeitlos geworden, schreibt er, alle Erinnerungen würden hier zu wirbelndem Staub über einer endlosen flimmernden Ebene. Er folgt den römischen Heerstraßen durch das Karmelgebirge: der Via Maris, eine Küstenroute der Römer, die Europa und Nordafrika in Nord-Süd-Richtung verband, sie führte von Griechenland, dem Küstenverlauf folgend, durch Kleinasien, über Beirut nach Ostrazine, von dort durch das Nildelta nach Kairo, der Via Nova Traiana (114 n. Chr.) entlang in die Provinz Arabia, von Bostra in Syrien nach Aila am Golf von Aquaba. Eine Straße, die von Resafa quer durch die Wüste nach Nikephorion verlief, wo sie die Euphrattal-Straße kreuzte. Diese Straße ist auf keiner Karte eingezeichnet. Sie verband einmal die Alte Welt mit Indien und China. Das Ziel des Archäologen ist Resafa, eine antike Ruinenstadt in der Wüste im Norden Syriens.
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    Annie schob Rosarius im Rollstuhl durch die langen Flure des Altenheims bis zum Aufenthaltsraum, stellte ihn dort an seinen gewohnten Platz am Fenster. Alle Heimbewohner, außer den Bettlägerigen, saßen dort vom Frühstück bis zum Abend auf ihren festen Plätzen an den Tischen, sahen fern oder hatten ihren Kopf auf die Tischplatte gelegt und dösten, andere redeten über Begebenheiten aus ihrem Leben; Dinge, die so fern und nah erschienen wie Grillenzirpen an einem Sommerabend. Eine hagere Frau zog ihre Pantoffeln aus, rollte die Strümpfe von den Beinen, blickte wie eine sich ängstlich duckende Katze umher, streifte heimlich ihre hautfarbene Unterhose herunter und schlüpfte schließlich mit ihren dürren Ärmchen aus der Bluse. Sie saß nackt am Tisch, redete davon, wie sie als junges Mädchen auf der Flucht vor den Russen in einer Scheune vergewaltigt worden war. Dann zog eine Pflegerin sie wieder an und schimpfte mit ihr.
    Rosarius saß den ganzen Tag vor sich hin murmelnd am Fenster, blickte auf die Wiese, wo mehrere Truthähne durchs Gras stolzierten und kollerten, um eine Henne anzulocken. Sie spreizten ihre Schwanzfedern und bliesen den Halssack auf, der ebenso wie ihr Kopf nackt war. Ihre Gesichtspartie und der Scheitel waren blau, zwischen ihren Augen hing über dem zuckenden Schnabel ein roter Hautlappen. Rosarius beobachtete ihren seltsamen Tanz. In seinem Kopf entstanden Bilder,Worte, Farben, es war, als würde er mutterseelenallein in einem Meer treiben und nach Perlen tauchen, die in Muscheln verborgen auf dem Grund schimmerten. Oft wusste er nicht, woran er sich erinnerte, ob es überhaupt er selbst war, der da sprach.
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