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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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hatte davon geredet, als würde er das alles genau kennen, als wäre er tatsächlich überall auf der Welt gewesen. Seinen ersten schweren Schlaganfall hatte Rosarius in der Fahrerkabine von Högers Lastwagen erlitten.
    Â«Ich habe das erst gar nicht bemerkt, bis er plötzlich begann, komisches Zeug zu murmeln, und dann keine Wörter mehr fand», hatte Höger ihr erzählt. Höger hatte Annie auch gesagt, Rosarius habe selten die Eifelund die Gegend um Kall verlassen und doch sei er in Gedanken überall auf der Welt gewesen, wisse viele Dinge, auch wenn er seltsam und einfältig erscheine. «Verglichen mit dem, was wir über unser Leben und die Welt wissen könnten, sind wir doch alle dumm», hatte Höger zu ihr gesagt und sie dabei angesehen, gegrinst und mit seinen lustigen Augen gezwinkert. Seit seiner Pensionierung lebte er bei seiner Tochter, die ihn hin und wieder mit ihrem Auto bei Rosarius absetzte, dann zum Einkaufen ins Industriegebiet fuhr und ihn auf dem Rückweg wieder abholte.
    â€¦
    Die Gebäude des Altenheims waren einst Verwaltungsgebäude des Bleibergwerks gewesen. Sie trugen die Namen der Stollen Risa und Viktoria, Bergwerksstollen, in denen früher einmal Hunderte von Menschen gearbeitet hatten. Die Häuser standen in einem verwilderten Park zwischen alten Eichen und Kastanienbäumen. Am Rande des Parks blühten Rapsfelder, die sich bis zu einem Birkenwäldchen erstreckten, oberhalb dieses Wäldchens begann das Bergschadensgebiet, eine eingezäunte, bleiverseuchte Gegend mit berghohen rotbraunen Geröll- und Kieshalden, dem Aushub eines einstmals großen Bergbaugebietes, wo jetzt nur noch Heidekraut und einige krüppelige Zirbelkiefern gediehen.
    Annie saß während der Pause unter dem Vorbau des Lieferanteneingangs. Auf dem Gartentisch krabbelten Ameisen, deren Pfad zwischen einem Aschenbecher und Schokoladenkeksen verlief. Die Ameisen schleppten Larven, verschwanden mit ihnen unterhalb des Tisches in den Bodenrissen des Mauerwerks, da sie wahrscheinlich im Keller ihr Nest hatten. Annie dachte an das, was Rosarius erzählt hatte, an all die Haare, die der Friseur Delamot in seinen Keller hatte rieseln lassen. Sie fragte sich, was der wohl damit gemacht hatte. Es hatte keinen Zweck, Rosarius zu fragen, er antwortete nicht, sondern erzählte nur und wob ein Gespinst von Erinnerungen, in dem er sich selbst schon lange nicht mehr zurechtfand.
    In der Küche wurde das Abendessen zubereitet, Geschirr klapperte, ein Radio spielte, der Ventilator blies Kochdunst nach draußen. Annie drehte sich eine Zigarette, rauchte und blickte auf die Rapsfelder, deren ranziger Geruch herüberwehte.
    Gerade reparierte Bellarmin am Rande des Parks den Zaun des Truthahngeheges. Sein Hemd hatte er ausgezogen und über einen Strauch gelegt. Annie gefiel dieser schmächtige junge Mann, sie mochte seine bedächtigen, irgendwie edlen Bewegungen. Wenn er seiner Arbeit in Haus und Garten nachging, sah sie ihm gerne zu. Sie hatte ihm heimlich – nur für sich allein – den Namen Bellarmin gegeben.
    Annie brachte das Abendessen mit einem Rollwagen in den Aufenthaltsraum, danach auf die Zimmer zu den Bewohnern, die im Bett lagen. Für Rosarius schnitt sie Brote in kleine Happen und tunkte sie in seinen Tee, danach bezog sie sein Bett frisch, half ihm beim Waschen, nahm ihm seine Zahnprothese aus dem Mund, spülte sie unter fließendem Wasser ab und legte sie in einen Becher.
    â€¦
    Rosarius war überzeugt, seine Peeh endlich wiedergefunden zu haben. Anfangs hatte Annie noch versucht, ihm das auszureden, mittlerweile glaubte sie selbst, diese Frau zu sein. Sie setzte sich in den Sessel am Bett, schloss ihre Augen und hörte Rosarius’ Gemurmel zu. Er redete scheinbar wirres Zeug, zählte Straßennamen auf, Straßen des Römischen Imperiums, Straßen, die durch die Eifel nach Rom führten, von dort nach Libyen und durch die Wüste bis ans Rote Meer. Es schien, als würde er alle Straßen und Wege, die es je gegeben hatte, kennen. Dabei summte er, bekritzelte Blätter seines Heftes, die er dann ausriss und in den Spalt zwischen Wand und Bett steckte. Seine Lippen, Zähne und Zunge waren mit Tinte beschmiert, da er die Angewohnheit hatte, an der Füllfeder zu saugen.
    Rosarius hatte nie richtig schreiben gelernt. Er formte seine Buchstaben und Wörter in einer winzigen, krakeligen, schwer zu lesenden
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