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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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as Jahr 1948, der Krieg war seit drei Jahren vorbei. Ich war zehn Jahre alt, zu klein und zu schmächtig für mein Alter. Ich konnte gerade über den Küchentisch gucken und immer noch nicht sprechen. Kathy sagte, sie habe mich, so, wie ich war, viel besser vor den Nazis verstecken können. Dass ich so schweigsam geblieben sei, sei schon gut gewesen, alles im Leben sei für irgendetwas gut. Die Nazis hätten Kinder wie mich ihren Müttern weggenommen und ihnen schlimme Dinge angetan. Deshalb habe ich die ersten Jahre meines Lebens versteckt auf dem Dachboden gelebt. Den Winter über habe ich da oben gefroren. In Decken eingehüllt wartete ich auf den Frühling und meine Schwalben, meine Schwalben, die den Winter im warmen Süden zugebracht hatten, die nach ihrer Rückkehr unter dem Dachvorsprung Nester aus Lehm, ihrem Speichel, Kuhhaaren und Federn bauten und ihre Brut großzogen.
    Vincentini hatte Kathy schon vor dem Krieg gekannt, war aber erst danach ihr Liebhaber geworden. Es war ihm gelungen, Kathy aus dem Heim, in das die Nazis sie eingewiesen hatten, wieder herauszuholen. Vincentini sagte, irgendwas stimme mit Kathys Kopf nicht mehr, seit sie dort gewesen war. Kathy war, fand ich, sehr schön, und sie ging freizügig mit ihrem Körper um, jeder, der ihr gefiel, konnte ihn haben.
    Vincentini verdiente in den ersten Nachkriegsjahren viel Geld, indem er den Bauern das von Bomben zersplitterte Holz ihrer Wälder abkaufte und es teuer an Holzfabriken weiter verhökerte, die daraus Spanplatten machten.Er war ein Händler und Geschäftemacher, der mit allen Lebensumständen gut zurechtkam, ein Mensch, der ganz nett sein konnte, aber auch schrie und tobte, je nachdem, in welcher Laune er gerade war. Vincentini behauptete, von Italienern abzustammen, vielleicht sogar von einem römischen Legionär, einem Triarier oder Zenturio. Ihm gehörte die Pension, die Kathy mehr schlecht als recht führte. Er war immer großzügig zu Kathy und mir, dafür musste ich ihn später auf seinen Verkaufsfahrten begleiten. Er blieb meist zwei oder drei Tage bei uns, dann brach er wieder zu seinen Holzgeschäften auf und ließ sich einige Wochen oder auch Monate nicht blicken.
    â€¦
    Rosarius lag wach und wartete auf Peeh. Er sah sie vor sich, als wäre sie wirklich im Zimmer, so konnte er mit ihr reden, ihr seine Geschichte erzählen, berichten, was alles während ihrer langen Abwesenheit geschehen war.
    Annie räumte Wäsche in den Schrank, setzte sich dann zu ihm, hielt seine Hand, hörte zu, ohne zu wissen, was sie eigentlich von Rosarius erfahren wollte. Wie so oft memorierte er aus dem «Hyperion».
Schau ich hinaus und überdenke mein und dein Leben, sein Steigen und Sinken, seine Seligkeit und seine Trauer und meine Vergangenheit lautet mir dann oft wie ein Saitenspiel, wo alle Töne nochmals erklingen.
    Annie stellte das Kopfteil am Bett höher, bis Rosarius aufrecht im Bett saß, legte ihm eine Serviette um, führte den Schnabelbecher an seine Lippen. Rosarius verschluckte sich, etwas Kaffee lief ihm aus dem Mund. Nachdem er getrunken hatte, stellte Annie das Kopfteil wieder herab. Rosarius sank mit dem Kopf ins Kissen und schloss seine Augen. Als Annie das Zimmer verlassen hatte, den Flur hinunterging, hörte sie Rosarius wieder flüstern.
    Â 
    I m Frühling 1949 – die Mehlschwalben waren aus der afrikanischen Savanne zurückgekehrt, flogen zu ihren Nestern unterm Dach, krallten sich mit ihren Füßchen am Nestrand fest und fütterten ihre Jungen – lag ich in Kathys Bett, hörte dem jungen Schwalbenschwatzen zu und blickte auf die Wiese, wo die Eltern herumsegelten und Mücken fingen, wo die Berlepsch-Apfelbäume standen, sah Muster, alles hinterließ unzählige unterschiedliche Muster in meinem kleinen Kopf, Muster, wieder andere Muster, Melodien, Symmetrien, Spiegelungen, schwebende Blütenblätter, zirkelnde Mehl- und Rauchschwalben, Mauersegler, Muster aus Farben, Tönen, Gerüchen, unendlich viele übereinandergezeichnete geometrische Figuren, die sich in Klänge verwandelten und in den Geschmack des Berlepsch-Apfels. Kathy sagte, ich sei anders als andere Kinder. Ich konnte noch nicht sprechen, mit elf Jahren brachte ich keinen einzigen vernünftigen Ton heraus, nur manchmal summte ich leise. Kathy setzte mich irgendwo ab. Ich blieb dort hocken, bis sie zurückkam. Es war, als
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