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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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existiere keine Zeit. Vielleicht gibt es keine Zeit, vielleicht gibt es Orte in uns ohne Zeit, und vielleicht lebte ich damals dort. Wenn Pensionsgäste im Haus waren, stand Kathy früh auf, bereitete das Frühstück für die Gäste, meist waren es Sommerfrischler oder Monteure, die im Zementwerk Reparaturarbeiten durchführten. Ich hörte Kathy unten in der Küche reden und hantieren. Sie kam, nachdem die Gäste gefrühstückt hatten, wieder hoch, zog sich aus und schlüpfte zu mir ins Bett, nahm mich in den Arm,und schon war sie wieder eingeschlafen. Sie konnte damals noch gut schlafen. Später hat sie kaum noch geschlafen, ist immer unruhig in Kall und überall in der Umgebung umhergelaufen, hat mit sich selbst oder mit dem abwesenden Archäologen geredet. Kathy erzählte mir, er sei vor dem Krieg in die Eifel gekommen und die Römerstraßen entlanggewandert. Straßen, die im 3. Jahrhundert nach Christus von Colonia Agrippina durch die Eifel nach Trier, durch das ganze Imperium Romanum geführt hätten. Der Archäologe hatte die römische Heerstraße Augusta Treverorum erkundet, die von Köln nach Trier verlaufen und beim Königsfeld durch einen Bergsporn getrieben worden war. Während Kathy von meinem angeblichen Vater erzählte, kuschelte ich meinen Kopf zwischen ihre Brüste, als wäre ich noch ein Baby. Kathy hatte weiße Haut mit blauen, sich verzweigenden Äderchen, die sich auf ihren Brüsten schlängelten, jenen schönen, weichköpfigen Brüdern, die ganz still neben mir lagen.
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    Annie streifte ihre Schuhe ab, stellte einen Fuß auf die Sesselkante, raffte ihr Kleid hoch, beugte sich vor und entfernte mit einem Wattebausch den Lack von ihren Fußnägeln. Sie besuchte Rosarius auch dann, wenn sie dienstfrei hatte. Sie legte ihre Wange ans Knie, säuberte ihre Fußnägel mit einem scharf riechenden Lösungsmittel und hörte dabei Rosarius zu. Sie war bald wieder von seiner Geschichte gefangen, vielleicht lag es daran, dass sie allein war, dass sie glaubte, Rosarius zu verstehen und einen Sinn in seinem eigentümlichen Leben zu finden, wo es doch eigentlich für nichts auf der Welt einen ursprünglichen Sinn gibt. Bisher jedenfalls hatte sie das geglaubt. Annie fragte Rosarius, welche Nagellackfarbe sie auftragen solle. Sie hatte viele Nagellackfläschchen im Rucksack, hatte die Angewohnheit entwickelt, sich ständig die Fußnägel zu lackieren. «Sie dürfen sich eine Farbe aussuchen», sagte sie und kramte in ihrem Rucksack, zeigte ihm die Farben. Lila wie dunkler Flieder, Rot wie Johannisbeeren oder Gelb wie Mais, gesprenkelt mit glitzernden Pünktchen. Rosarius lächelte und zeigte auf das fliederfarbene Fläschchen. Sie lackierte damit ihre Fußnägel, erzählte Rosarius von Azzurro und den anderen Pferden, dass sie auf der Weide in einem Stall unter dem Stroh, Sattel und Zaumzeug versteckt habe, berichtete, wie sie in ihrer Freizeit mit dem Motorroller zur Pferdeweide bei den Windkrafträdern fuhr, um heimlich mit Azzurro auszureiten. Der Bauer, aufdessen Weide er stand, hatte zwar nichts dagegen, dass sie die Pferde besuchte, wollte aber nicht, dass sie auf ihnen ritt. Der Besitzer aus der Stadt kümmerte sich nur wenig um Azzurro, der sich von niemandem außer von Annie reiten ließ. Rosarius schwieg, aber es hatte den Anschein, als würde er ihr zuhören. Er runzelte die Stirn, seine Hände schwebten wenige Zentimeter über der Bettdecke, als würde er eine Melodie in seinem Inneren dirigieren.
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    D ie Meerfelder Straße führte durch Buchenwälder, dann an Lavagruben mit Tuffgestein vorbei. Vincentini streckte seine Hand aus dem Seitenfenster. Nieselregen, große schillernde Regenbögen, unter denen wir dahinfuhren, plötzlich sagte er,
der Mensch sei ein Gott, wenn er liebe.
Densborner Straße, Gillenfelder Straße, an den Maaren vorbei.
Es scheiden und kehren im Herzen die Adern und einiges, ewiges, glühendes Leben ist alles, alles, alles.
Ahrenrather, Bergweiler, Salmtaler Straße. Ich lag mit dem Kopf in Kathys Schoß, sah zum Himmel auf, so viele Himmel, so unendlich viele Himmel und Wolken und das Gerede von Vincentini. Habseider, Irrler, Schönecker, Katzwinkler Straße. Vincentini hielt an, sagte, er müsse sich die Beine vertreten und nachdenken. Er verschwand im Unterholz, streifte wie ein Faun im Wald
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