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Peehs Liebe

Peehs Liebe

Titel: Peehs Liebe
Autoren: Norbert Scheuer
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meinem Sortierspiel störte. Ich habe sie aber nur angesehen, ihre Augen, ihre Sommersprossen. Ich wusste plötzlich, dass alle Dinge, die ganze Welt, Peeh und ich zusammengehörten. Ich bemerkte verwundert, wie schön sie war, und verliebte mich in sie. Sie war das, was mir immer gefehlt hatte, um all die verwirrenden Dinge auf der Welt besser zu ertragen. Dann kam ihre Mutter zu uns, schimpfte und zog Peeh von mir weg. Von da an spielten wir heimlich auf der verwilderten Wiese unter den Berlepsch-Bäumen, kletterten die Stämme hoch, schaukelten an den Ästen. Wir liefen im nahe gelegenen Buchenwald durch Schützengräben, die in einen Unterstand führten, in dem es nach feuchtem, modrigem Laub roch. Wir saßen am Rand des Steinbruchs, wo ich später arbeiten würde, sahen zu, wie Lastwagen mit Kalkgestein beladen wurden, wie große Käfer aus dem riesigen Loch herauskrabbelten und über die Landstraße nach Kall und Sötenich zum Zementwerk fuhren.
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    Annie saß am Küchentisch in ihrer kleinen Wohnung. Sie war gerade von der Nachtschicht gekommen, hatte sich einen Tee gekocht und machte sich nun Notizen, um Zusammenhänge zwischen den seltsamen Dingen zu erkennen, die Rosarius erzählte. Annie versuchte, sich das ganze verwirrende Flechtwerk seines Lebens in seinen Einzelheiten vorzustellen, war sicher, dass sie auf etwas stoßen würde, das tatsächlich irgendwo zwischen Wahrheit und Erfindung existieren könnte, in einem einzigen Gebäude. Annie wusste nicht, warum sie diese Dinge aufschrieb, aber allmählich entstand daraus wie von selbst so etwas wie eine Geschichte, die mit immer mehr Details angereichert wurde. Sie blätterte in den Aufzeichnungen von Rosarius, den hingekritzelten Notizen, die Bellarmin in Kartons in der Remise gefunden und ihr gegeben hatte. Bücher in lateinischer, arabischer, aramäischer und griechischer Sprache lagen auf dem Tisch. Bellarmin konnte Latein und Griechisch, er war klug und gebildet, kam aus einem vermögenden Elternhaus. Sie wusste nicht, was er auf der Risahöhe wollte. Er sprach nicht mit ihr darüber. Die meisten Bücher, die Bellarmin ihr gab, trugen Stempel der längst geschlossenen Kaller Gemeindebücherei und waren alle in den Siebzigerjahren, als man die Bibliothek aufgelöst hatte, verramscht worden. Irgendein Gelehrter aus der Gemeinde hatte diese Bücher ursprünglich der kleinen Bibliothek hinterlassen. Werke von Herodot, Plinius,Vitruv und anderen antiken Baumeistern, Lehrbücher über Physik, Meteorologie, Medizin, Gesteinskunde, Berichte von Wüstenreisenden, Aufsätze über antike Wasserleitungen, Studien über den Verlauf des Limes im Orient, über Kastelle in der Wüste.
    Bellarmin hatte einen alten Koffer des Archäologen, der mit einem Gürtel zusammengebunden war, in der Remise entdeckt und ihr überlassen. Sie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Sein Inhalt bestand aus Zetteln, Notizen und alten Briefen, dem rostigen Schlüssel eines Vorhängeschlosses, einigen Steinen, rotem und ockerfarbenem Wüstensand, kleinen römischen Figuren und Tonscherben sowie einem Sommerkleid mit weißen Punkten, das vielleicht einmal Peeh getragen hatte, vermutete Annie, denn Rosarius hatte ein solches Kleid mehrmals erwähnt.
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    I ch verstand mich mit niemandem so gut wie mit Peeh. Es machte ihr nichts aus, dass ich schwieg, dafür plapperte sie umso mehr. Ich hörte ihr gern zu, summte und sabberte dabei, bohrte in der Nase und leckte meinen Schnodder vom Finger, aß Erde mit Würmern, Asseln, und anderen Käfern. Statt Peehs richtigen Namen, Petra, auszusprechen, stotterte ich nur Peeh, was mir schon viel Mühe abverlangte. Peehs Mutter wollte nicht, dass ihre Tochter mit mir spielte, sie hielt sich für besonders fein, hatte Angst, Peeh würde von mir schlechte Manieren lernen. Wir versteckten uns, wenn sie nach uns rief.
    Peeh musste jeden Tag viele Stunden Klavier üben. Ihre Mutter wollte aus Peeh eine berühmte Konzertpianistin machen, was wohl ihr eigener großer Traum gewesen war, den sie aber hatte aufgeben müssen. Sie blieben nur deshalb länger in unserer Pension, weil dort im Empfangsraum ein Konzertflügel stand. Ihn hatte Vincentini irgendwann auf seinen Touren durch die Eifel einem Bauern abgekauft, der das Instrument kurz vor Kriegsende gegen zwei Säcke Kartoffeln eingetauscht hatte, dann
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