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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte
Autoren: Reginald Hill
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    Eins
    Der Erste Dialog

    H
allo. Wie geht’s?
    Mir? Gut, glaube ich.
    Stimmt. Manchmal kriegt man es kaum mit, aber letztlich scheint sich doch etwas zu bewegen. Komische Sache, das Leben, nicht wahr?
    Ja, der Tod übrigens auch. Aber das Leben …
    Es ist noch nicht lange her, da stand ich da, hatte kein Ziel und kein Zuhause, hatte sozusagen den Anschluß verpaßt, die Vergangenheit sickerte durch die Gegenwart in die Zukunft, farblos, ereignislos, spannungslos, nichts, was die Sinne belebt hätte …
    Dann, plötzlich eines Tages, sah ich ihn!
    Er erstreckte sich vor mir, war schon immer da gewesen, der lange, verschlungene Weg, der mich durch mein Großes Abenteuer führen sollte, der Anfang so nah, daß ich glaubte, die Hand ausstrecken und ihn berühren zu können, das Ende so fern, daß mir schwindelte bei dem Gedanken, was dazwischen lag.
    Aber es ist ein großer Schritt vom Schwindel zur Wirklichkeit, und zunächst blieb er ein geistiges Abenteuer – der lange, verschlungene Weg, meine ich –, er blieb etwas, womit ich mir die langen stillen Stunden vertrieb. Aber unentwegt hörte ich meine Seele sagen: »Im Geiste zu reisen, ist gut und schön, aber braun wirst du dabei nicht!«
    Und meine Füße wurden immer unruhiger.
    Allmählich begannen sich die Fragen in meinem Hirn zu drehen wie die Figuren eines Bildschirmschoners.
    Könnte ich vielleicht …?
    Wagte ich …?
    Das ist das Problem mit Wegen.
    Sobald man einen gefunden hat, muß man ihm folgen, ganz gleich, wo er hinführt, aber manchmal ist der Anfang – wie soll ich sagen? – so unklar.
    Ich brauchte ein Zeichen. Nicht unbedingt etwas Dramatisches. Ein leichter Anstoß hätte genügt
.
    Oder ein geflüstertes Wort.
    Dann, eines Tages, erhielt ich es.
    Zuerst das geflüsterte Wort. Dein Flüstern? Ich hoffte es.
    Ich hörte es, deutete es, wollte es glauben. Aber es war noch so vage …
     
    Ja, ich war stets ein ängstliches Kind.
    Ich brauchte etwas Klareres.
    Und endlich kam es. Mehr ein Tritt in den Hintern als ein behutsamer Klaps. Ein Schrei eher als ein Flüstern. Man könnte sagen, es sprang mich an.
    Ich konnte dich beinahe lachen hören.
    In jener Nacht schlief ich kaum vor lauter Nachdenken. Aber je mehr ich überlegte, um so unklarer wurde es. Gegen drei Uhr morgens redete ich mir ein, es sei nur ein Zufall gewesen und mein Großes Abenteuer müsse leere Phantasterei bleiben, ein Videofilm, der hinter den aufmerksamen Augen und dem einfühlsamen Lächeln ablief, während ich meinen täglichen Geschäften nachging.
    Aber etwa eine Stunde später, als die rosigen Finger der Morgenröte die schwarze Haut der Nacht zu massieren begannen und ein kleiner Vogel draußen vor meinem Fenster sein Lied anstimmte, begann ich die Dinge anders zu sehen.
    Vielleicht war es ja einfach das Gefühl, des Weges nicht würdig zu sein, das mich zögern ließ. Jedenfalls habe nicht ich die Wahl getroffen, oder? Auf ein Zeichen, wenn es denn ein echtes Zeichen war, mußte eine Gelegenheit folgen, der ich mich nicht verweigern konnte. Wobei natürlich auch sie nicht rein zufällig, wenn auch naturgemäß vage erscheinen würde. Ja, eben daran würde ich sie erkennen. Zumindest für den Anfang würde ich ein passiver Akteur in diesem Abenteuer sein, aber sobald es einmal begonnen hatte, würde ich zweifelsfrei erkennen, daß es mir auf den Leib geschrieben war.
    Alles, was ich tun mußte, war, mich bereithalten.
    Ich stand auf, wusch und kleidete mich mit ungewohnter Sorgfalt, wie ein Ritter, der sich für eine Aventiure rüstet, oder eine Priesterin, die sich auf das heiligste Mysterium vorbereitet. Mag auch das Gesicht hinter Visier oder Schleier verborgen sein, der Kundige wird wissen, wie das Wappen oder das Gewand zu deuten ist
    Als ich bereit war, ging ich zum Auto hinaus. Es war noch früher Morgen. Der Vogelchor jubilierte, und den östlichen Himmel überzog ein rosafarbener Perlmuttschimmer, wie die Wange eines Mädchens in einem Disney-Film.
    Es war noch viel zu früh, um in die Stadt zu fahren, und einem Impuls folgend, strebte ich aufs Land hinaus. An einem solchen Tag, so ahnte ich, muß man jedem Impuls folgen.
    Eine halbe Stunde später fragte ich mich, ob ich nicht ganz einfach eine Narrheit begangen hatte. Schon seit einiger Zeit hatte ich Probleme mit dem Wagen, der Motor stotterte und zog am Berg schlecht. Jedesmal schwor ich mir, ihn in die Werkstatt zu bringen. Dann schien wieder alles in Ordnung, und ich vergaß die
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