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Sanft wie der Abendwind

Sanft wie der Abendwind

Titel: Sanft wie der Abendwind
Autoren: Catherine Spencer
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1. KAPITEL
    Hugo Preston hatte Lily am Telefon gesagt, dass er bei der Gepäckausgabe auf sie warten würde und sie ihn an seinem grauen Haar und den roten Rosen in seiner Hand erkennen könne. „Morgen ist für mich ein wahrer Festtag, Lily“, hatte er hinzugefügt. „Ich zähle schon die Stunden, bis ich dich endlich kennenlerne.“
    Und nun stand sie hier allein am Gepäckband. Sie verstaute ihre Koffer und die Reisetasche auf einem Kofferkuli und sah den Mitreisenden nach, die bereits die Ankunftshalle verließen. Zwar hatten mehrere grauhaarige Männer auf Passagiere der pünktlich gelandeten Maschine von Vancouver nach Toronto gewartet, keiner von ihnen hatte jedoch rote Rosen in der Hand gehabt und war auf sie, Lily, zugekommen, um sich als ihr leiblicher Vater vorzustellen.
    Anscheinend lag Hugo Preston doch nicht so viel daran, seine Tochter nach all den Jahren kennenzulernen. Er hatte immer gewusst, dass es sie gab, sie aber noch nie gesehen, und nun vernachlässigte er sie schon wieder!
    Verärgert nahm sie eine Straßenkarte aus der Handtasche und stellte fest, dass die kleine Stadt Stentonbridge, in der er lebte, ungefähr hundertfünfzig Meilen nordöstlich von Toronto lag. Da es hier im Osten Kanadas heftig regnete, konnte es sein, dass er für die Fahrt länger als erwartet brauchte.
    Dann kam Lily ein schrecklicher Gedanke: Während sie hier stand und Hugo Preston im Stillen beschimpfte, wurde vielleicht gerade sein völlig zertrümmertes Auto aus einer Schlucht gezogen, und er lag bereits im Krankenwagen – auf dem Weg ins nächste Leichenschauhaus.
    Rasch verdrängte sie das grausige Hirngespinst. Nein, tragische Schicksalsschläge waren die Ausnahme und trafen einen Menschen nicht zweimal kurz hintereinander! Es gab bestimmt einen plausiblen Grund für Hugos Verspätung, und wahrscheinlich lag am Informationsschalter schon eine Nachricht bereit.
    Nochmals blickte sich Lily in der Ankunftshalle um, die nun beinah leer war. Einige Studenten scharten sich um ihren Reiseleiter, und ein beeindruckend großer Mann bahnte sich zielstrebig einen Weg durch genau diese Gruppe, deren Mitglieder vor ihm zurückwichen.
    Er sieht aus wie Moses, vor dem sich das Rote Meer teilt, dachte Lily amüsiert und versuchte, das Schild des Informationsschalters zu entdecken.
    Das gelang ihr jedoch nicht, weil der Mann nun in ihrer Blickrichtung direkt auf sie zukam.
    „Sie suchen mich“, informierte er sie schroff und blieb so dicht vor ihr stehen, dass sie den Kopf nach hinten neigen musste, um dem Unbekannten ins Gesicht zu sehen. Seine auffallend blauen Augen blickten kalt.
    Auf keinen Fall konnte man ihn als älteren grauhaarigen Mann beschreiben, und freundlich wirkte er auch nicht.
    „Nein, das tue ich nicht“, erwiderte Lily kurz angebunden und wollte an ihm vorbeigehen.
    Er hielt den Kofferkuli fest. „Sie sind Lily Talbot.“
    Jeder andere Mann hätte es bestimmt als Frage formuliert, aber er schien sich über die üblichen Regeln erhaben zu fühlen und sich für etwas Besonderes zu halten.
    „Und wer sind Sie?“, fragte Lily.
    „Sebastian Caine.“
    Er klang, als müsste selbst die Dümmste nun Bescheid wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Lily dachte gar nicht daran, seinem ausgeprägten Selbstwertgefühl zu huldigen, und erwiderte nur: „Wie schön für Sie.“ Sie gab dem Kofferkuli einen kräftigen Stoß. „Würden Sie bitte loslassen? Ich möchte telefonieren, um herauszufinden, warum ich nicht, wie verabredet, abgeholt werde.“
    „Nicht nötig.“ Sebastian Caine wich keinen einzigen Zentimeter zurück. „Ich bin Ihr Chauffeur.“
    Der Gedanke, sie nach Stentonbridge zu fahren, behagte ihm offensichtlich genauso wenig wie ihr. „Oh nein, ich steige nicht zu ominösen Fremden ins Auto.“
    Seine Lippen zuckten. „Sie kennen mich noch nicht lange genug, um mich als ominös bezeichnen zu können, Miss Talbot.“
    „Trotzdem fahre ich nicht mit Ihnen, sondern warte auf Mr. Preston.“
    „Hugo holt Sie nicht ab.“
    Genau das hatte sie befürchtet. „Warum nicht?“
    „Weil ich ihn überredet habe, zu Hause zu bleiben.“
    „Tut er immer, was Sie ihm sagen?“
    „Leider nicht“, erwiderte Sebastian Caine erbittert. „Sonst wären Sie jetzt nicht hier, und ich müsste meine Zeit nicht mit diesem albernen Gespräch vergeuden. Lassen Sie den verdammten Kofferkuli los! Ich will ihn nicht entführen – und Sie übrigens auch nicht –, aber ich würde gern das Gepäck verstauen und
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