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Sanft wie der Abendwind

Sanft wie der Abendwind

Titel: Sanft wie der Abendwind
Autoren: Catherine Spencer
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Grund?“
    „Vermutlich nicht, aber warum ausgerechnet jetzt? Er ist doch schon immer Ihr Vater gewesen.“
    „Das wusste ich bis vor Kurzem nicht.“
    „Genau darauf will ich hinaus, Miss Talbot: Sie sind sechsundzwanzig Jahre lang ohne ihn ausgekommen. In Ihrem Alter brauchen Sie keinen Vormund mehr. Es gibt keine emotionalen Bindungen zwischen Ihnen und Hugo. Was also ist der wahre Grund, warum Sie hier unvermittelt auftauchen?“
    „Ich bin nicht bereit, mit einem völlig Fremden über meine persönlichen Angelegenheiten zu reden.“
    „Hugo und ich haben keine Geheimnisse voreinander.“
    „Offensichtlich doch“, erwiderte Lily selbstgefällig. „Ihre Reaktion auf mein ‚unvermitteltes Auftauchen‘ lässt vermuten, dass er Ihnen nie von mir erzählt hat.“
    „Vielleicht hat er Sie ja nie vermisst. Seine zweite Tochter hat Ihre Abwesenheit mehr als aufgewogen.“
    „Oh, ich habe eine Schwester?“ Das war Lily neu, und es verstörte und freute sie zugleich. Sie war als Einzelkind aufgewachsen und hatte sich immer eine große Familie gewünscht, hatte jedoch nicht einmal Großeltern oder Onkel und Tanten gehabt.
    Sie waren immer nur zu dritt gewesen: sie, ihre Mutter und deren Mann, den sie so lange für ihren Vater gehalten hatte.
    „Wir brauchen doch niemand sonst“, hatte Neil Talbot oft gesagt.
    Und nun war sie ganz allein – seit dem Septembertag im Vorjahr, als ein Polizist zu ihr gekommen war und ihr mitgeteilt hatte, dass ihre Eltern bei einer Massenkarambolage auf einem Highway in North Carolina ums Leben gekommen waren.
    „Natalie ist nur Ihre Halbschwester.“ Sebastians Stimme riss sie aus den Gedanken. „Sie stammt aus Hugos Ehe mit meiner Mutter.“
    „Sie und ich sind demnach Halbstiefgeschwister, oder?“ Lily wollte einen freundlicheren Ton ins Gespräch bringen. „In welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen wir zueinander?“
    „In gar keinem“, erwiderte er scharf.
    „Dem Himmel sei Dank!“ Sie war gekränkt.
    „Ganz meine Meinung.“
    Inzwischen hatten sie das Flughafengelände verlassen und sich in den dichten Verkehr nach Toronto eingereiht. Nach wie vor regnete es heftig. Sebastian schien ein geübter Fahrer zu sein, aber Lily verspannte sich jedes Mal, wenn er überholte, und war immer auf das Schlimmste gefasst. Sie hatte damals ihre Eltern identifizieren müssen, und die Erinnerung daran ließ sie noch immer nicht los.
    „Wenn Sie weiterhin so heftig auf eine nicht vorhandene Bremse treten, landen Sie irgendwann mit dem Fuß im Freien“, bemerkte er und fuhr dicht auf ein anderes Auto auf.
    „Ich möchte jedenfalls nicht im Kofferraum des Autos vor uns landen.“
    Seine Lippen zuckten. „Mache ich Sie nervös, Miss Talbot?“
    Sie schloss die Augen, als er rasant einen Lastwagen überholte. „Ja!“
    „Dann sind Sie klüger, als ich dachte.“
    Nun öffnete sie die Augen wieder. „Was soll das heißen?“
    „Es soll heißen, dass ich Ihnen und Ihren Beweggründen nicht traue. Es soll heißen, dass ich jeden Ihrer Schritte überwachen werde, während Sie hier sind. Ein falscher Schachzug, und Sie bekommen es mit mir zu tun.“
    „Das sind ja aufregende Aussichten!“, konterte Lily sarkastisch. „Mein Herz klopft schon wie rasend.“
    „Ich meine es ernst.“
    „Ja, das merke ich. Und ich frage mich, warum ich Sie dermaßen aus der Ruhe bringe. Ich versichere Ihnen, dass ich nicht vorhabe, mich mit dem Familiensilber davonzumachen oder jemand zu ermorden. Mich beschäftigen vielmehr einige Fragen, die nur Hugo Preston mir beantworten kann. Das ist alles.“
    „Dafür hätten Sie nicht die weite Reise zu machen brauchen. Das Telefon wurde vor Langem erfunden.“
    „Natürlich möchte ich auch meinen Vater persönlich kennenlernen.“
    „Ja, darauf würde ich alles wetten“, höhnte Sebastian.
    Starr sah Lily ihn an. Warum nur war er so feindselig? Sein Ausdruck verriet ihr jedoch nichts, und um eine Erklärung würde sie auf keinen Fall bitten.
    „Ich hege wirklich keinerlei Hintergedanken bei meinem Besuch“, bekräftigte sie.
    Sebastian presste die Lippen zusammen und trat aufs Gaspedal, um eine überlange Limousine zu überholen.
    Lily wurde vor Angst eiskalt, als er anschließend mit hohem Tempo die Ausfahrt nahm, und sie stemmte beide Hände gegen das Armaturenbrett.
    „Wie viele Unfälle hatten Sie schon?“, erkundigte sie sich unüberlegt.
    Flüchtig sah er sie an, sein Blick wirkte zugleich kalt und amüsiert. „Keinen. Aber es gibt ja
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