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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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halbsteifer Schwanz beulte ihm die Hose aus. Und darauf war er stolz. Er wusste, er war der einzige alte Mann auf der Welt, dem er noch knüppelhart wurde wie bei einem Zuchtbullen. Und mitten auf dem Gehsteig tänzelte er in der Dunkelheit auf und nieder, bezog Stellung, zog den Kopf ein und versetzte dem Kopf des Gegners ein paar kurze Faustschläge.
    »Kurz und hart. Deine Rechte ist ein Kraftwerk. Benutz deine Rechte«, hatte ihm sein Trainer im Sportclub America immer gesagt. In nur drei Jahren holte er siebenundneunzig Siege und verlor dreiundzwanzigmal. »Cholo Banderas« war sein Name im Ring. Der Trainer hatte »Banderas« angehängt, damit es besser klang. »So hat der Name mehr Wucht, mehr Swing.« Bis ihn der schwarze Scheißer k.o. schlug. Er warf ihn auf die Matte, bewusstlos, mit einem Schädelbruch. Das war das Aus für weitere Kämpfe. Danach hatte er zwei Jahre lang im Knast gesessen, wegen einer Bagatelle. Ein wichtigtuerischer, dreister Polizist hatte ihn provoziert, und er hatte ihn zu Brei geschlagen. Man verknackte ihn nur zu zwei Jahren. Im Gefängnis fühlte er sich ganz wohl. Er musste nicht arbeiten und saß still in einer Ecke. Alle redeten Scheiße und erzählten Geschichten, was für harte Jungs sie wären. Er nicht. Er machte nie den Mund auf und hatte keine Freunde, war allein wie immer, bis für ihn die Stunde schlug, in der er zurück auf die Straße musste.
    Das war jetzt viele Jahre her, er erinnerte sich kaum noch. Im Grunde genommen konnte er sich nie erinnern. »Man lebt im Hier und Jetzt. Gestern ist vorbei, und Morgen ist noch fern«, sagte er sich oft. Zudem war es ihm völlig egal, ob er als Boxer oder als Kanalarbeiter arbeitete, im Knast saß oder auf der Straße lag. Und jetzt saß er da an dieser dunklen Ecke mit halb steifem Schwanz. Er warf die Dose auf die Straße, mit voller Wucht, dass es krachte. Er fühlte sich ausgeruht und voller Energie. Er spannte Rückenmuskeln, Bizeps und Trizeps an und sagte sich: »Du bist ein gesunder Mann, Cholo, du musst dir eine Frau für die Nacht suchen!«
    Und so hüpfte er weiter und gab Faustschläge in die Luft ab. Er ging in Richtung Avenida del Puerto, eine Gegend, die ihm immer gefallen hatte. Früher war alles einfacher. In der Muralla, Richtung Avenida del Puerto, hatten drei Nutten gewohnt. Jede von ihnen bewohnte ein Zimmerchen mit roter Tür, auf der in goldenen Buchstaben ihr jeweiliger Name stand: Berta, Olga, Lola. Die Erinnerung daran war die schönste seines Lebens. Drei Nutten für je fünf Pesos pro Fick. Sie redeten mit ihm, lächelten ihm zu, freundeten sich im Laufe der Zeit mit ihm an, und wenn er kam, bereiteten sie ihm sogar Limonade zu, badeten und rasierten ihn. Bei solchen Anlässen gab er ihnen immer ein paar Pesos extra. Nichts im Leben ist umsonst. Aber die drei Frauen starben schon vor langer Zeit. Sie mochten etwas über sechzig gewesen sein, starben jung.
    Er war da ganz anders: Er fühlte sich wie ein junger Bursche. Das dicke Fell, das er sich als kleiner Junge hatte wachsen lassen, war jetzt härter als zuvor. Nichts und niemand hatten ihn je beschützt. Er wusste sich unverletzlich wie ein wildes, einzelgängerisches Raubtier im Urwald, abseits der Meute. Er hatte viele Frauen gehabt und Kinder gezeugt. Aber schon lange trat niemand mehr an ihn heran und sagte: »Du bist mein Vater. Meine Mutter ist die und die, erinnerst du dich?«
    Er wies sie von sich. Nie konnte er sich an eine gewisse Frau erinnern, schon gar nicht an ein Kind. Nie war eine Frau an seiner Seite niedergekommen. Wenn er hörte, dass eine schwanger war, haute er ab. Wer konnte ihm versichern, dass das Kind von ihm stammte? Alle Frauen waren gleich: für vier Pesos gaben sie sich jedem hin, und hinterher suchten sie einen Trottel, der ihr Kind aufziehen sollte. Aber das ließ er nicht mit sich machen. Schon gar nicht jetzt. Es war Jahre her, dass jemand von ihm verlangt hatte die Vaterschaft anzuerkennen, dabei lebte er heute komfortabel wie nie zuvor und lachte über die Welt. Allgemein hieß es, dies sei die schlimmste Krise in der Geschichte Kubas, »aber für mich ist es die beste«, dachte er oft. Als sich 1990 der große Hunger ausbreitete, verdiente er seinen Unterhalt als Schuhputzer im Hauseingang gegenüber von seinem Zimmer. Dann kam er auf die Idee, gebrauchten Krempel aufzukaufen und weiterzuver-kaufen, alles Mögliche. Angefangen bei Rohren und elektrischen Kabelstücken über Bügel, alte Schuhe, Zeitschriften und
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