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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt
Autoren: Len Deighton
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1
    »Glasnost versucht, über die Mauer zu flüchten, und wird von einem Maschinengewehr mit Schalldämpfer erwischt«, sagte Kleindorf.
    »Das ist der neueste Witz von drüben.« Er sprach eben laut genug, sich gegen den schrillen Klang des Klaviers Gehör zu verschaffen. Er sprach englisch mit amerikanischem Akzent, den er manchmal noch überspitzte.
    Ich lachte, so gut ich konnte, nun, da er mir gesagt hatte, daß es ein Witz war. Ich hatte diesen schon früher gehört, nur, Kleindorf konnte einfach keine Witze erzählen, nicht mal, wenn sie gut waren.
    Kleindorf nahm die Zigarre aus dem Mund, blies den Rauch zur Decke und streifte die Asche am Aschenbecher ab. Weshalb er so pingelig war, weiß ich nicht; der ganze verdammte Raum war wie ein voller Aschenbecher. Beschwörend stieg der Rauch über seinen Kopf, wand und ringelte sich wie aufgebrachte graue Schlangen, die im Lichtkegel des Scheinwerfers gefangen waren.
    Ich lachte zuviel, das ermutigte ihn, es noch mal zu versuchen. »Hübsche Gesichter sehen alle gleich aus, aber ein häßliches Gesicht ist auf seine eigene Art häßlich.«
    »Das hat Tolstoi nie gesagt«, erwiderte ich ihm. Ich war gern bereit, für jeden Clown den Stichwortgeber zu spielen, der mir irgendwas erzählen konnte, was ich wissen wollte.
    »Hat er wohl. Als er’s gesagt hat, saß er da drüben an der Theke.«
Abgesehen von den Blicken, mit denen er prüfte, wie ich seine Witze aufnahm, ließ er seine Tänzerinnen nicht aus den Augen.
Auf der engen, kleinen Bühne war gerade genug Platz für die fünf großen, appetitlichen Mädchen, doch die am Ende der Reihe mußte schon aufpassen, wohin sie die Beine warf. Rudolf Kleindorf – ›der große Kleine‹, als der er besser bekannt war – bewies die Wahrheit seines kleinen Scherzes. Die Tänzerinnen – mit starrem Lächeln und leerem Blick – unterschieden sich nur durch die Stadien ihrer Cellulitis und die abweichende Wahl der Haarfarbe, über Rudolfs großer, schiefer Nase aber standen erstaunlich wilde und buschige Augenbrauen. Der ständig finstere Ausdruck und die stets in dunklen Ringen liegenden Augen gaben dem Gesicht, dem man ansah, daß er schon viele Körper verbraucht hatte, nicht zuletzt seinen eigenen, etwas Einzigartiges.
Ich sah auf meine Uhr. Es war fast vier Uhr früh. Ich war schmutzig, unrasiert und roch schlecht. Ich brauchte ein heißes Bad und frische Wäsche. »Ich bin müde«, sagte ich. »Ich brauch’ ein wenig Schlaf.«
Kleindorf nahm die lange Zigarre aus dem Mund, blies Rauch aus und schrie: »Gleich weiter zu ›Singing in the rain‹, holt die Regenschirme!« Das Klavier verstummte plötzlich, und die Tänzerinnen sanken mit lautem Stöhnen in sich zusammen, beugten, streckten und lehnten sich an die Dekoration wie aus einer Spielzeugkiste gekippte Stoffpuppen. Ihre Körper glänzten vor Schweiß. »Was ist das bloß für ein Geschäft, wo ich um drei Uhr morgens arbeiten muß«, klagte er und ließ unter der gestärkten Leinenmanschette eine goldene Rolex vorblitzen. Er war ein Stimmungen unterworfener, geheimnisvoller Mann, und man erzählte alle möglichen Geschichten von seinen Launen und seiner Neigung zu Wutausbrüchen.
Ich sah mich im ›Babylon‹ um. Es war düster. Die Ventilatoren waren abgeschaltet, und wie überall in solchen Lokalen noch lange, nachdem die Gäste gegangen sind, roch es nach Schweiß, billigen Kosmetika, kaltem Rauch und verschütteten Alkoholika. Die lange verchromte und verspiegelte Bar, wo jeder erdenkliche Schnaps glitzerte, war vergittert und abgeschlossen. Ihre Gäste waren weitergezogen in andere Lokale, denn in Berlin gibt es viele, wo der Betrieb erst um drei Uhr früh richtig losgeht. Jetzt wurde es kalt im ›Babylon‹. Während des Krieges hatte man diesen Keller mit Stahlträgern verstärkt und ihn als Luftschutzkeller benutzt, und dieser Kriegsbeton schien eisige Feuchtigkeit abzusondern. Zwei Straßen weiter an der Potsdamer hatte ein solcher Keller Berlin jahrelang mit Zuchtchampignons versorgt, bis es die Gesundheitsbehörde verbot. Das ›Karneval-Finale‹ hatte alles durcheinandergebracht. Luftschlangen überzogen Tische mit einem Wirrwarr aus Weinflaschen und Gläsern. Überall waren Luftballons – von denen manche schon schrumpften und runzlig wurden –, Bieruntersätze aus Pappe, zerrissene Rechnungen, Getränkekarten und Abfälle aller Art. Niemand schien ans Aufräumen zu. denken. Dafür würde später am Morgen noch genügend Zeit sein. Das
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