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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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Bücher bis hin zu Spiegeln und altem Spielzeug. Nirgends gab es etwas zu kaufen, nirgends. Die Leute hatten Geld in der Tasche und konnten sich nicht einmal Zigaretten kaufen.
    Ab einem bestimmten Zeitpunkt verdiente er damit mehr als mit dem Schuheputzen. Zudem gab es auch bald keine Schuhcreme mehr, sodass er damit ganz aufhören musste. Er kaufte sehr billig ein und verkaufte sehr billig weiter. Er suchte sich einen Platz im Zentrum, wo viele Passanten vorbeikamen. Alle blieben stehen, guckten, was er hatte, fragten nach dem Preis, und einige kauften. Ihm ging auf, dass sich alte Bücher und Zeitschriften am besten verkauften, also gab er das Übrige auf und schrieb auf ein Stück Karton: »Kaufe alte Bücha und Zeit Schriften. Komm zu inen nach Haus«. Mit riesigen Leinentaschen durchquerte er ganz Havanna und kam schwer bepackt zurück. Lesen konnte er nicht, also kaufte er stapelweise. Alles. Tausende und Abertausende Bücher häuften sich auf dem Boden im Hauseingang. Täglich kamen Hunderte Käufer. Nie zuvor hatte er so viel verdient. Die Geldscheine versteckte er in einem Pappkarton, den er mit alten Büchern bedeckte, sodass niemand ahnte, was für ein Vermögen darunter verborgen war. Nie sprach er mit seinen Kunden oder lächelte sie an. Man konnte den Leuten nicht trauen. Gab man ihnen den kleinen Finger, nahmen sie die ganze Hand. So saß er Tag für Tag da und machte den Mund nur auf, um »ja« oder »nein« zu antworten, wenn man ihn etwas fragte. Er verstand sehr gut, was da vor sich ging. In seinem Alter hatte er viel Erfahrung.
    »Das Problem ist, dass die Leute schnell Angst bekommen. Die Amerikaner machen Druck, überall wächst der Hunger, und alle scheißen sich in die Hose. Und dann sieht man sie abgemagert, getreten, halb verrückt durch die Straßen schleichen und mit sich selbst reden. Ich weiß nicht, warum die Leute solche Schisser sind. Alles in allem war es in Kuba immer dasselbe: drei, vier Jahre Wohlstand und zwanzig Jahre Elend. So lange ich mich erinnern kann, war's nie anders. Aber mit Angst kann man so nicht leben. Schluss mit der Angst und vorwärts.«
    Das ging ihm durch den Kopf, aber er hütete sich, das laut zu sagen. Schon deshalb, weil er niemanden hatte, dem er es sagen konnte. Außerdem verstand er nicht zu sprechen, er sprach nicht gern. Reden war ihm Silber, Schweigen Gold.
    Er kam in der Muralla an und setzte sich unter den Bogen, von dem aus die Straße zur Avenida del Puerto führt. Es war dunkel und still. Ein Stückchen weiter, etwa sechs Meter von ihm entfernt, vögelten ein Schwarzer und eine Schwarze im Stehen wie von Sinnen, an eine Säule gelehnt. Er hörte, wie sie seufzten und stöhnten, und sah ihren fiebrigen Bewegungen zu. Das erregte ihn noch mehr. Nur wenige Leute gingen vorüber, fast niemand. Er holte seinen Schwanz heraus und masturbierte ein bisschen auf Kosten der Schwarzen. Aber nur ganz wenig. Seit vielen Jahren ging er mit seinem Sperma nicht mehr verschwenderisch um, denn er produzierte nicht mehr diese gewaltigen Spritzer, die früher ein Glas zu füllen vermochten und die Frauen schwer beeindruckten. Jetzt kam nicht mehr so viel, da hieß es haushalten.
    Cholo war gut aufgelegt. Mmmh. Er verwahrte sein Instrument wieder in der Hose und fing an, sich nach einem Opfer umzusehen.
    »Heute nacht stecke ich meinen Schwanz für zwanzig Pesos in ein Loch, oder ich will nicht mehr Cholo heißen«, sagte er sich im Stillen, hüpfte wieder auf und ab und schlug mit der Faust in die Luft.
    Er ging die Avenida del Puerto hinunter zum Malecón. Mädchen auf dem Strich, Taxifahrer, Bars, drei alte Gebäude, die vor kurzem eingestürzt waren. Wegen der Trümmer kam man nicht weiter. Die Abwässerkanäle ins Meer waren verstopft, und die Scheiße überschwemmte die Straße gegenüber von der Bar Los Marinos. Cholo nahm nicht weiter Notiz davon. Er war von klein auf gewöhnt, im Zerfall zu leben. Das Einzige, was er wollte, war ein Loch für zwanzig Pesos.
    Gegenüber vom Los Marinos standen ein paar Nuttchen und warteten auf Kunden. Sie waren blutjung, hübsch, aufreizend, parfümiert. Seit langem war Cholo nicht in dieser Gegend gewesen, ging aber davon aus, dass eine Nutte wie die andere war - so war es schließlich sein ganzes Leben lang gewesen. Er sprach eine kleine Mulattin an. Verwundert nahm das Mädchen zur Kenntnis, dass dieser widerliche alte Bock sie meinte, und rührte sich nicht von der Stelle. Aus der Entfernung rief sie ihm zu: »Was willst
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