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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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einen Treppenabsatz. Aus seiner Hosentasche zog er einen Löffel hervor und begann den faden Fraß zu essen. Danach war er immer noch hungrig. Ihm fielen die billigen Imbisse ein, die kürzlich an der Belascoaín eröffnet hatten, aber es war schon dunkel. Das Einzige, was er um diese Zeit noch bekommen konnte, waren Rum und Zigaretten. Er steckte die linke Hand in die Tasche und fühlte ein Rolle Geldscheine, eine dicke Rolle. Mit seinen alten Büchern hatte er heute mindestens fünfhundert Pesos verdient. In seinem Zimmer hatte er einen Karton mit Tausenden Pesos versteckt, vielen Tausenden, wie vielen genau, wusste er nicht.
    Eine Frau mit Tütchen voller Erdnüsse kam auf ihn zu und bot sie ihm feil. Nein, auf keinen Fall würde er Geld für solche Naschereien verplempern. Er rauchte nicht, trank weder Rum noch Kaffee und nahm nur zwei karge Mahlzeiten am Tag zu sich. Sein einziges Laster waren die Frauen. Er war sechsundsiebzig, sah aber aus wie sechzig, kräftig und muskulös, klein, weiß, fast blond, mit hellen Augen. Seine Mutter hatte ihm immer gesagt, er sei das Ebenbild seines Vaters, eines Basken, kraftvoll und ungehobelt wie ein Stier, der ein paar Monate mit ihr zusammengelebt, sich aber flugs aus dem Staube gemacht hatte, als er sah, dass sie schwanger war, und sich nie wieder blicken ließ. Cholo hatte ihn nie kennen gelernt. Seine Mutter brachte ihn zur Welt und starb, als er vier war. Jetzt konnte er sich kaum noch an sie erinnern.
    Cholo wuchs auf der Straße auf, mutterseelenallein, ohne Vater, Mutter oder Geschwister. Er schlief in Hauseingängen und dunklen Ecken und nahm Jobs an, die gerade anfielen. Alle möglichen Arbeiten hatte er verrichtet: als Stapler, Kanalarbeiter, Müllmann, Boxer, Zeitungsverkäufer, Schuhputzer, Maurergehilfe. Es gab keine schmutzige, körperliche Arbeit, in der er sich nicht auskannte. Er hatte auf Müllhalden gearbeitet, in Schlachthäusern, auf Marktplätzen, in Fabriken. Seit seine Mutter gestorben war. Ohne Unterlass. Nie hatte er ein beständiges Dach über dem Kopf oder eine feste Beziehung mit einer Frau gehabt. Eine Zeit lang hatte es ihm gefallen, mit einer einzigen Frau zusammen zu sein, doch fing die dann an, mehr und mehr Geld zu verlangen, wurde eifersüchtig, umtriebig, wollte Kinder, verlangte von Cholo Geld für Seife, um ihm die Wäsche zu waschen, und wollte von ihm, dass er jeden Tag duschte.
    Nein, nein, es war völlig unmöglich, mit einer Frau länger als einen Monat zusammenzuleben!
    Und Cholo war ein gesunder Mann. Zwei-, dreimal in der Woche wurde ihm der Schwanz knüppelhart wie bei einem reinrassigen Zuchthengst. Und für diese Dinge brauchte man Geld, so viel stand fest.
    Die Erdnussverkäuferin blieb ein paar Schritte neben ihm stehen und hielt Ausschau nach Kunden, aber es kam keiner vorbei. Er sah sie sich aufmerksamer an. Sie war dünn, etwas schmuddelig, um die dreißig, hatte gefärbtes Haar, halb blond, halb schwarz, und schmutzige, schwielige Fersen. Sie sah ihn wieder an und lächelte. Ihre Zähne waren genau wie seine: kaputt und schwarz.
    »Kauf ein paar Erdnüsse, Alterchen! Nur für einen kleinen Peso.«
    »Nein, nein, keine Erdnüsse! Aber komm mal her, setz dich neben mich.«
    »Warum sollte ich mich denn neben dich setzen? Spinnst du?«
    Da stand Cholo auf und ging zu ihr. »Willst du dir zwanzig Pesos verdienen?« Die Frau wurde misstrauisch. »Wofür?«
    »Lass mich nur deine Muschi lecken.«
    »Kommt nicht in Frage, Mann, du bist viel zu widerlich. Womöglich fange ich mir da noch was ein!«
    »Ich gebe dir dreißig. Und wenn ich Lust habe, ihn dir reinzustecken, gibt's zehn obendrauf.«
    »Nein, nein, du bist ein ekelhaftes Schwein. Lass das!«
    »Du kannst dir leicht vierzig Pesos verdienen, im Handumdrehen!«
    »Nicht für hundert lasse ich mich von dir anfassen, geschweige denn ihn mir reinstecken! Spinnst du oder was?!«
    »Komm schon, Mädchen, dauert doch bloß einen Moment!«
    »Nein, nein, lass mich in Ruhe!«
    Dann ging sie mit ihren Erdnusstütchen weiter. Cholo sah ihr zu, lächelte und rief ihr nach: »Ich gebe dir hundert!«
    Sie blieb stehen, drehte sich um, kam dieselben Schritte zurück und lächelte liebenswürdig. »Wirklich? Na, das ist was anderes.«
    »Nee, lieber doch nicht. Aber vierzig heute, vierzig morgen und vierzig am nächsten Tag...«
    »Hör auf, mich zu verarschen, Alter. Dreist bist du, mehr nicht. Lass mich bloß in Ruhe, sonst rufe ich einen Polizisten!« Cholo war ganz erregt. Sein
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