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Pedro Juan Gutiérrez

Pedro Juan Gutiérrez

Titel: Pedro Juan Gutiérrez
Autoren: Schmutzige Havanna Trilogie
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Durchstöbern der Müllhaufen zu widmen und den einen oder anderen in seinem Zimmer zu besuchen.
    Da inzwischen insgesamt ungefähr fünfzig Leute, vielleicht sogar mehr, in den sieben Zimmern hausten, die man im Laufe von dreißig Jahren nach und nach auf dem Dach gebaut hatte, waren genügend heimliche Ecken und Essensreste garantiert. Chicha glaubte, es handele sich um eine einzige Ratte, denn eines Abends hatte sie in der Dämmerung gesehen, wo eine heraufgeklettert und mit einem einzigen Satz über einen Meter weit herausgesprungen war. In Wirklichkeit aber waren dieser athletischen Ratte viele weitere gefolgt und nahmen nachts das ganze Dache für sich ein. Im Keller gab es nur Feuchtigkeit, Schimmel, verfaulte Bretter, verrostete Eisen, Leitungen und Rohre, nichts sonderlich Appetitliches. Andere hingegen wagten sich hinaus in die Hauseingänge und auf die schmutzigen Gehsteige des Malecón, wo auch immer sie etwas fanden, obwohl sie immer wieder von der übrigen nächtlichen Fauna, den Huren, Betrunkenen, Polizisten und Bettlern, gestört wurden. Endlich wurde es hell, und Chicha stand ängstlich auf, um den angerichteten Schaden zu inspizieren. Die Ratte hatte den Deckel einer Pfanne mit Kartoffel- und Bohnenresten abgeworfen, fast alles aufgefressen und sogar auf den Tisch geschissen. Ihre kleinen Haufen lagen direkt neben dem Topf. Chicha war immer schlampig und nachlässig gewesen, aber das war einfach zu viel. Sie öffnete die Tür ihres Zimmers, stellte die Kasserolle auf den Boden der Dachterrasse und füllte ihn mit Wasser. In dem Moment kam ihre Schwester Tita, aufgescheucht wie immer, mit einem breiten Grinsen, das ihr riesiges Plastikgebiss zur Schau stellte, das jederzeit herauszuspringen und ihr jeweiliges Gegenüber zu treffen drohte. »Guten Morgen!«
    »Was heißt hier ›guten Morgen‹? Nerv mich nicht so früh am Tag!«
    »Oho, schon schlechter Laune?«
    »Schlechter Laune, guter Laune, lass mich bloß zufrieden!« »Man sollte immer wohlerzogen und höflich zu den Menschen sein, auch wenn man am Absaufen ist.«
    »Das reicht, Tita, spiel hier nicht die Oberlehrerin.«
    »Schlecht geschlafen?«
    »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Erinnerst du dich noch an die Ratte, die durch die Rohre hochgekrochen und aufs Dach gesprungen ist?«
    »Ja.«
    »Letzte Nacht kam sie in mein Zimmer und durchstöberte alle meine Töpfe nach Nahrung. Grauenvoll!«
    »Grauenvoll? Was ist daran so grauenvoll? Mir ist im Leben schon Schlimmeres widerfahren. Warum bist du nicht einfach aufgestanden, hast das Licht angedreht und sie totgeschlagen? Weil du wirklich ziemlich unklug bist!«
    »Ist ja gut, ist ja gut!«
    »Als mich mein Mann mit den vier kleinen Jungs sitzen ließ...«
    »Hör um Himmels willen auf, Tita! Du bist doch nicht ganz gar im Kopf!« »Und du kannst immer nur schimpfen und fluchen. Beleidige mich nicht! Denn du benimmst dich gerade selbst wie eine verrückte Alte, die sie nicht alle beieinander hat!« Wie immer stritten sie sich endlos weiter und brachten einander auf die Palme. Chicha war seit sechs Jahren verwitwet und allein. Sie war jetzt neunundsechzig. Ihre jüngere Schwester Tita kam mehrmals die Woche, um nach ihr zu sehen. In Wahrheit kam sie aber nur, um Kaffee zu trinken, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen und sich mit Chicha zu zanken. Sie konnten einander nicht ausstehen. »Machst du heute bei mir sauber, Tita?«
    »Erspar dir deine Anweisungen! Ich bin nicht dein Dienstmädchen.«
    »Himmel noch mal, Tita, du machst mich wahnsinnig. Wenn du nicht gekommen bist, um mir zu helfen, warum dann?«
    »Um dir Gesellschaft zu leisten. Zumal dich weder deine Tochter noch deine Nichten ausstehen können. Jemand muss sich mit Gott versöhnen.«
    »Scheiß auf Gott! Du bist nur gekommen, um mir mit deinem verrückten Geschwätz auf die Nerven zu gehen.«
    »Siehst du, das ist genau, warum dich niemand erträgt. Unhöflich und gemein bist du. Respektier doch, wenn ich an Gott glaube...«
    »Gequirlte Scheiße! Es gibt keinen Gott! Sonst gäbe es nicht so viel Hunger und Armut auf der Welt!«
    »Das meinst du. Fang jetzt bloß nicht an mit Kommunismus und Politik und irgendwelchen Beleidigungen! Wohin hat das alles geführt, Kindchen? Los, sag schon! Gott hat keines unserer Probleme gelöst, das stimmt, aber der Kommunismus auch nicht. Sieh dir nur an, wie es um uns steht!« »Mit dir kann man nicht reden, Tita, du kannst nicht mal lesen und schreiben.«
    »Und du bist ja so
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