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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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hellte sich sein Gesicht auf. Er lächelte dem älteren der beiden Männer zu, weil seine grauen Haare ihn an Grandpaerinnerten. Aber als ihm wieder einfiel, welcher Tag heute war und welche Aufgabe ihm bevorstand – Jacob zu Dr. Brill zu bringen –, versteinerte sich seine Miene. Mit den Händen in den Taschen stand er da und starrte den Staub auf dem lackierten Fußboden an.
    »Möchtest du ein Heftchen mit lustigen Bildern haben, Jacob?«, fragte der grauhaarige Mann.
    Paul schielte zu Jacob hinüber, der wie verrückt nickte, so heftig, dass ihm der Kopf vom Hals zu fliegen schien. Der andere Mann trat an einen Stapel zusammengebundener Comics hinten im Laden. Paul konnte sich denken, dass sie Jacob einen alten Comic schenken wollten.
    Kurz darauf marschierte Jacob aus dem Laden und hielt den Comic wie eine Fahne hoch in die Luft. Er ging an Paul vorbei, als wäre er allein und hätte an diesem Frühlingsmorgen unterwegs zum Arzt mal eben im Zeitungsladen Halt gemacht.
    Paul war verwirrt und genervt, als Jacob nebenan ins Delikatessengeschäft ging. Mit einem dramatischen Seufzer folgte er ihm. Jacob steuerte schnurstracks die Glaskästen an, in denen Esswaren ausgestellt waren, und wurde dort von einem Mann begrüßt, der hinter der Theke stand und eine flache Kochmütze auf dem Kopf trug.
    »Jakie!«, rief der Mann hinter der Theke. »W as kann ich für dich tun?«
    In diesem Augenblick kam eine dicke Frau mit einer großen, weißen Schürze durch eine Schwingtür hinter der Theke. Sie stürzte auf Jacob zu und umarmte ihn.
    »Mein kleiner Hefekloß«, säuselte sie und gab ihm ein Gebäckstück, das er sich sofort in den Mund stopfte, als sie ihn losließ.
    »W ie geht’s unserem Jungen denn so?«, fragte der Mann an der Theke. Dann wandte er sich wieder seinem Grill zu. Es war, als wäre mit Jacob alles in Ordnung.
    Seine Besuche waren damit noch nicht beendet. Als Nächstes ging er in den Laden mit Grußkarten und Geschenkartikeln neben dem Delikatessengeschäft. Zwei junge Frauen richteten das Geschäft für den Verkauf her.
    »Der kleine Jakie«, sagte die eine. »W ie geht es dir?«
    »Unterwegs zu deiner Allergiespritze?«, fragte die andere.
    Jacob krähte wie ein Hahn. Aber dabei schaute er die ganze Zeit zu Paul hin, der am Eingang stehen geblieben war.
    Eine der beiden Frauen zeigte auf ihn. »Ist das dein großer Bruder? Bringt er dich zum Arzt?«
    Sie hatte die Hände voll mit bunten Geburtstagskarten, die sie auf einem Tisch zu einer Pyramide aufbaute.
    »Er ist nicht mein Bruder«, sagte Jacob.
    Paul stimmte ihm insgeheim zu, aber gleich darauf stieg Ärger in ihm auf, und er war so gekränkt, dass er es als Ehrenrettung empfand, als die Frau lachte und sagte: »Natürlich ist das dein Bruder!«
    Jacob starrte sie an. Er lächelte nicht und heulte nicht. Er sah sie nur an.
    »Er passt doch auf dich auf«, fügte die junge Frau hinzu, während sie mit der letzten Karte herumfummelte.
    In diesem Augenblick unternahm Jacob etwas. Er trat drei Schritte vor, zum Tisch hin, und warf mit einer unbeholfenen Handbewegung die Kartenpyramide um.
    »Ach, Jakie!«, rief die Frau genervt, aber gleich darauf sagte sie: »Na – ist schon gut. Dann bau ich’s eben wieder auf.«
    Sie machen Zugeständnisse wegen seiner Besonderheit, sagte sich Paul. All diese Ladeninhaber waren fest entschlossen, die gute Laune zu behalten, ganz egal, was Jacob auch machte.
    Sie verließen den Laden und gingen unter dem Vordach des Kinos hindurch. An diesem Samstag fiel Paul der Titel des italienischen Films wieder ein, in den sein Großvater letzten Sommer mit ihm gegangen war: La Strada. Der Film war eine unangenehme Erfahrung für ihn gewesen. Schon nach einer halben Stunde hatte er es aufgegeben, die englischen Untertitel zu lesen.
    Jacob bog in den Weg zu dem gelben Backsteingebäude der Bücherei ein. Zum ersten Mal an diesem Morgen sackte sein Körper zusammen. Er hielt den Kopf gesenkt. Paul, der etwa einen Meter hinter ihm ging, fragte sich verärgert, was Jacob jetzt wieder vorhaben mochte. Fragen konnte er Jacob nicht; er hatte sich geschworen, das nicht zu tun.
    Der Morgen, vor dem ihm schon die ganze Woche gegraut hatte, war gekommen und schon fast wieder vorbei. Bald würde er erledigt haben, worum er gebeten worden war – nicht mehr und nicht weniger. Jacob hatte die Bücherei betreten. Paul lief ihm hastig hinterher und fragte sich, was um alles in der Welt Jacob in einer Umgebung mit so vielen Büchern
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