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Paul ohne Jacob

Paul ohne Jacob

Titel: Paul ohne Jacob
Autoren: Paula Fox
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anfangen wollte.
    Die Bibliothekarin schaute von ihrem kreisrunden Schreibtisch auf und lächelte. »Hallo, Jacob«, sagte sie.
    »Hallo, Miss Greene«, gab Jacob zurück. »Haben Sie heute ein Buch für mich?«
    »Aber ja«, sagte sie. »Ich hatte schon letzten Samstag gehofft, dass wir uns sehen würden. Und da hab ich dir dieses Buch hier aufgehoben.«
    Sie hielt ihm ein Buch mit dem Titel Millionen von Katzen hin.
    Paul sah, dass Jacob Probleme bekam, weil er schon den Comic hielt. Offenbar wusste er nicht, was als Erstes zu tun war, ob er den Comic loslassen sollte, um nach dem Buch zu greifen, oder ob er mit jeder Hand eins von beiden halten sollte. Dann klemmte er sich den Comic zwischen die Zähne und nahm mit der rechten Hand das Buch entgegen, das Miss Greene für ihn zurückgelegt hatte. Mit der linken Hand wühlte er in seiner Jackentasche herum, fischte schließlich einen Bibliotheksausweis hervor und reichte ihn Miss Greene. Sie legte ihn unter die elektronische Kamera und gab ihm den Ausweis dann wieder zurück.
    Das ist alles nur vorgetäuscht, dachte Paul. Alle tun nur so, als wäre Jacob ganz normal.
    Sie standen auf der obersten Stufe der Treppe zur Bücherei. Zwischen ihnen lagen mehrere Schritte Abstand. Jacob hielt mit einer Hand Millionen von Katzen und mit der anderen den Comic.
    Plötzlich fing er an zu weinen.
    Genau in diesem Augenblick entdeckte Paul, dass George mit seinem kleinen Bruder Matthew unten an der Treppe stand und zu ihnen hochschaute.
    Jacob schluchzte laut.
    Paul war betroffen und zornig zugleich. Er wusste nicht, wie er ihn trösten sollte.
    »Jacob, was hast du denn?«, fragte George.
    Er wusste, wie Pauls Bruder hieß!
    »Ach, komm schon! Nicht weinen«, beschwor George ihn.
    Jacob stolperte die Stufen hinunter und lief zu ihm. Als er vor George stand, hörte sein Weinen auf. Mit tränennassen Wangen sah er zu ihm hoch, sagte leise »Paul« und wandte den Kopf zu seinem Bruder hin.
    »Hat er dir was getan?«, fragte George scherzhaft. Und er strich Jacob über den Kopf.
    Matthew hüpfte auf und ab, erst mit dem einen Fuß, dann mit dem anderen.
    »Hey, Paul!«, rief George. »W as hast du mit ihm gemacht?«
    Wie hatte er Jacobs Namen erfahren?
    »Tschüss«, sagte George mit einem freundlichen Grinsen und wackelte dazu mit den Fingern. Er ging mit Matthew weiter.
    Paul und Jacob kamen zwölf Minuten zu spät zu dem Termin bei Dr. Brill.

FLUCHT
     
     
     
     
     
     
    Am letzten Apriltag wurde Paul schon früh wach. Das Licht war wie ein grauer Schleier, der allem anhaftete, was er vom Bett aus sehen konnte. Allmählich schob sich eine helle Zitronenspalte unter den Schleier.
    Es war Jacobs Geburtstag. Die Colemans gaben eine Party für ihn, mit Grandpa als einzigem Gast. Er würde mit dem Morgenzug kommen und Lindy mitbringen.
    Soweit sich Paul zurückerinnern konnte, war er zu jedem Geburtstag von Paul gekommen, bis auf das eine Mal, als der Ausläufer des Hurrikans sie streifte. Manchmal – zum Beispiel damals, als sie gerade nach Brasston gezogen waren – war er der einzige Gast gewesen.
    Paul würde in den Wald gehen – in den Wald, den er als seinen Wald betrachtete. Er würde sich ein Brot schmieren und etwas zu trinken mitnehmen.
    Er würde schon früh losziehen, um den Vorbereitungen für Jacobs Geburtstag zu entgehen: Torte backen, Knallbonbons neben jedes Platzdeckchen auf den Tisch legen, Luftballons aufblasen, Geschenke einpacken.
    Was konnte man Jacob schon zum Geburtstag schenken?
    Für ihn würde das kaum eine Bedeutung haben, diese Feier zum Tag seiner Geburt. Abgesehen von der ganzen Aufregung um dieses Ereignis würde Jacob kein Gespür dafür haben, dass er ein weiteres Jahr gelebt hatte. Ihm würde das nicht das Gefühl geben, etwas vollbracht zu haben.
    Er lebte in der Gegenwart; er hatte keine ureigenen Gedanken und Gefühle, die sein Privatleben ausmachten; er kannte keine Geheimnisse.
    Es wurde Zeit, dass Paul aufstand. Er würde in die Küche gehen, eine Schale Cornflakes essen, sich ein Brot machen und zur Hintertür hinausgehen, in der lässigen Haltung eines freien Menschen.
    Mom und Daddy würden alle Hände voll zu tun haben. Wenn er einem von ihnen in der Küche über den Weg lief, würde er nicht sagen, wohin er ging – in seinen ganz privaten Wald, wo er den Tag verbringen würde.
    In dem geschäftigen Treiben der Geburtstagsvorbereitungen würde es gar nicht auffallen, dass er ging. Er dachte an seinen fünften Geburtstag zurück,
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