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Patrick: Eine finstere Erzählung

Patrick: Eine finstere Erzählung

Titel: Patrick: Eine finstere Erzählung
Autoren: Christian Sidjani
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glaubt, je starrer er aus dem Fenster schaut, desto mehr verschwindet er, hinterlässt dem Mann mit den Stahlaugen keinen Hinweis, wohin. Endlich am Hauptbahnhof, springt er im letzten Moment auf, hechtet hinaus. Im Trubel auf dem Bahnsteig sieht er ihn nicht.
    Die Schließfächer sind leicht zu finden, es ist überall ausgeschildert. Wahrscheinlich gab es auch Schilder am Flughafen, aber in der Weite des Raumes übersah er sie wohl. Und tatsächlich existiert eines mit der Nummer 644, es ist abgeschlossen. Wie lange schon?
    Michael holt den Schlüssel hervor, ein nervöses Gefühl schleicht in ihm wie ein Tier, das geweckt wurde und jetzt träge zu laufen beginnt. Bevor er den Bart im Schloss versenkt, stellt er sich all die Fragen, die er schon vorhin nicht beantworten konnte.
    „...und dann hat er mich gefragt, ob ich mit ihm gehe“, sagt eine Männerstimme. Der Körper dazu huscht als Schatten an Michael vorbei. Nur im Augenwinkel erkennt er, dass der Mann alleine ist. „Nee, natürlich habe ich nein gesagt. Das ist aber auch ein Spinner, dieser Daniel. Soll er sich das Buch doch alleine wieder besorgen. Ich bin doch nicht seine Mutter. Und nur weil seine Freundin Schluss gemacht hat, ist er nicht mehr in der Lage allein vor die Tür zu gehen. Mann, so was passiert doch jedem von uns mal, soll er kein Drama draus machen.“
    Michael lauscht dem Gespräch noch ein Weile, den Kopf so weit nach vorn gesenkt, dass er eine Schließfachtür berührt, die rechte Hand hält die Reide des Schlüssels umklammert. Es ist nur ein Handygespräch, denkt er, nur ein Typ mit einem Handy, der wahrscheinlich auf der Durchreise ist. Mit zwei lauten Klicken öffnet Michael das Schließfach, mit einem Ruck dessen Tür. Was auch immer er erwartete, es ist dem ziemlich ähnlich, was er findet. Jedenfalls ist er nicht überrascht einen schwarzen Aktenkoffer zu erblicken. Schlicht, aus Leder, ebenmäßig glänzend, wie jene, die häufig in Büros getragen werden. Er zieht ihn hinaus, wendet ihn so, dass die Oberseite nach oben zeigt und seine beiden Zahlenschlösser zu ihm. Es sind zwei vierstellige Codes, die eingegeben werden müssen. Im Moment zeigen sich nur Nullen. Obwohl er nicht daran glaubt, versucht er die Schnappschlösser aufzudrücken. Vergeblich. Er probiert die Geburtsdaten seines Onkels rechts, und seiner Tante links. Nichts. Er vertauscht die Daten.
    Zwei klackende Geräusche, die Schnappschlösser schnellen nach oben.
    „Und wie schmeckte der Burger bei McDonald's, Herr Friedrichs?“
    Michael erschreckt so sehr, dass er den Koffer beinahe fallen lässt. Der Deckel hebt sich und für einen Augenblick erhascht er einen Blick auf seinen Inhalt.
    „Herr Friedrichs, was machen Sie hier, am Hauptbahnhof?“
    Michael dreht sich nicht um. Noch hofft er, der Fremde würde einfach verschwinden.
    „Und was glauben Sie, was ich hier mache, Herr Friedrichs?“ Der Fremde drückt ihm etwas in den Rücken. „Sie wissen, was ich hier mache, nicht wahr, Herr Friedrichs?“
    Michael schließt den Aktenkoffer wieder, lässt die Schlösser einrasten und nickt.
    „Herr Maracz schickt Sie“, antwortet er.
    „Richtig, Herr Friedrichs. Und was glauben Sie, warum er mich schickt? Nein, antworten Sie nicht, natürlich wissen Sie es. Und es wäre dumm von mir dieses Spiel weiterzuspielen. Kommen Sie einfach mit!“ Der Druck im Rücken wird stärker. „Und was haben Sie da eigentlich im Aktenkoffer?“
    Jetzt dreht Michael sich um.
    „Keine falsche Bewegung, Herr Friedrichs.“ Der Mann mit den Stahlaugen hat eine Pistole auf ihn gerichtet. Niemand anderes scheint bei den Schließfächern zu sein. Wenn Michael um Hilfe schrie, dann käme vielleicht jemand. „Also, was ist das drin?“
    „Das geht Sie überhaupt nichts an.“
    Der Fremde drückt den Lauf auf Michaels Brust. Jetzt wäre ein guter Augenblick. Schrei um Hilfe, verdammt noch mal.
    „Und ich würde aber trotzdem gerne sehen, was da drinnen ist, Herr Friedrichs.“
    „Und ich sagte nein.“ Er hält den Koffer mit beiden Händen fest.
    „Die Pistole ist geladen, Herr Friedrichs. Und glauben Sie, ich würde zögern Sie hier zu erschießen? Ich bitte Sie, was kann so Wertvolles in dem Koffer sein, dass Sie dafür sterben würden? Doch nicht etwa Geld? Und wenn doch, Herr Friedrichs, dann bezweifle ich, dass es lange in Ihrem Besitz bleiben wird. Herr Maracz hat mir einiges über Sie erzählt. Zum Beispiel, dass Sie ein leidenschaftlicher Spieler sind, nicht wahr? Und kann
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