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Patrick: Eine finstere Erzählung

Patrick: Eine finstere Erzählung

Titel: Patrick: Eine finstere Erzählung
Autoren: Christian Sidjani
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schließlich die Wohnung, den Schlüssel sicher verwahrt in seiner rechten Hosentasche.
     
    „Das ist kein Postfachschlüssel“, sagt der Beamte am Schalter und blickt zum nächsten Kunden; die Schlange ist lang. Dieser fühlt sich angesprochen, doch Michael hat noch eine Frage: „Was meinen Sie denn, wofür der Schlüssel ist?“
    „Für ein Schließfach. Was’n sonst? Wollen Sie jetzt noch was kaufen, oder was?“
    „Nein“, erwidert Michael und streicht die Deutsche Post von seiner Liste. Auf seinem Weg zum Ausgang passiert er schimpfende Mütter, Leute mit Kopfhörern in den Ohren und Päckchen unter den Armen, Pärchen. Ein mittelalter Mann schnellt aus der Schlange hervor, packt Michael am linken Arm. Sein Gesicht ausdruckslos, die blauen Augen kalter Stahl, nur seine Unterlippe bebt, als er spricht. „Und Sie sind Michael Friedrichs, wenn ich mal fragen darf?“
    Michael kratzt sich mit seiner Hand am Hinterkopf, sagt dann: „Sie dürfen mich nicht fragen.“
    Der Mann stellt sich nun Michael ganz in den Weg, packt ihn auch am anderen Arm.
    „Und wo wollen Sie jetzt hin, Herr Friedrichs?“
    „Was geht Sie das an?“ Michael vermeidet dem Fremden in die Augen zu sehen. Er richtet seinen Blick auf die Regale mit den Umschlägen. Ein Kind reißt Folien auf, bis seine Mutter es anschreit.
    „Und hätten Sie kurz Zeit für einen Plausch? Nicht hier, woanders.“
    Michael stemmt seine Arme gegen die Kraft des Mannes, lockert die Krallen, schüttelt sie ab. „Lassen Sie mich“, schimpft er, flüchtet zum Ausgang. „Anscheinend nicht“, ruft der Fremde hinterher. Als Michael sich umdreht, ist er verschwunden.
     
    Am Flughafen kann er die Schließfächer zuerst nicht finden, so verloren ist er in der Weite des Terminals. Ein Bediensteter hilft ihm. Als dieser aber den Schlüssel in Michaels Hand erblickt, sagt er: „Der gehört nicht zu uns. Da muss ein Irrtum vorliegen, solche verwenden sie immer am Hauptbahnhof.“
    Im nächsten McDonald's kauft er sich ein Burger-Menü, isst es an einem Zweiertisch. Er dankt Patrizia dafür, ist sie es doch, die ihm das Essen spendiert. In einem Tabakladen am Bahnhof gönnt er sich eine teure Zigarettenmarke, auch das würde er sich sonst nicht leisten. Bevor die Bahn kommt, raucht er, blickt sich um. Eine Kindergarten-Gruppe wartet mit ihm auf dem Bahnsteig, die Kinder nicht älter als sechs oder sieben Jahre, diszipliniert stehen sie nebeneinander, die Kindergärtnerinnen unterhalten sich. Ein Junge, der vorher Timmi gerufen wurde, wirft einen Papierflieger in die Luft. Kurz folgt er dem physikalischen Gesetz, das Timmis Kraft auslöst, bis ein Widerstand den Flieger Haken schlagen lässt, über die Köpfe der anderen hinweg, hinunter zu einer Bank. Timmi lacht und läuft hinterher.
    „Nicht so schnell“, sagt eine der Kindergärtnerinnen. „Pass auf“, sagt die andere.
    „Und wie heißt du?“ sagt der Mann, der auf der Bank sitzt und den Papierflieger aufgehoben hat. „Timmi“, sagt der Kleine. „Und willst du den Flieger wieder zurück haben?“
    „Ja.“
    „Und wenn ich ihn dir gebe, wirst du ihn dann wieder werfen?“
    Timmi blickt zu seinen Verantwortlichen, die in ihr Gespräch vertieft weiter schnattern. Michael hat sich näher an den Rand des Bahnsteigs gestellt um den Mann besser zu betrachten, obwohl er die Stimme längst erkannt hat. Seine Stahlaugen nun auf den Schriftsteller gerichtet, fragt er den Jungen: „Und wenn du ihn wieder wirfst, glaubst du, er wird erneut hierher fliegen? Oder ist jeder neue Wurf die Gelegenheit einen anderen Weg zurück zu legen?“
    Der Mann lächelt, seine Augen nicht. Das erste Mal, das Michael es sieht.
    „Weiß ich nicht“, flüstert Timmi nach einer Weile. Die einfahrende Bahn lenkt die Aufmerksamkeit der Kindergärtnerinnen wieder auf ihre Schützlinge und damit auf Timmi, der an die Hand genommen wird. Michael hastet in entgegen gesetzter Richtung zum nächsten Waggon, steigt ein, sobald er die Türen geöffnet hat. Ob der Mann mit den Stahlaugen auch in die Bahn steigt, kann er nicht sehen. Er traut sich nicht durch die Fenster in den anderen Waggon zu schauen.
    Während der Fahrt blickt er aus dem Fenster. Die reale Welt tanzt dort gespiegelt, gedoppelt, unwirklich. Michael beobachtet andere Passanten, die ein- und aussteigen, sich hinsetzen oder aufstehen, ohne beachtet zu werden. Sein Herz und sein Puls unruhig unter der stillen Oberfläche des Schriftstellers. Er hat Angst entdeckt zu werden,
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