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Patrick: Eine finstere Erzählung

Patrick: Eine finstere Erzählung

Titel: Patrick: Eine finstere Erzählung
Autoren: Christian Sidjani
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Spiegel blickt ihr eine junge Frau entgegen. Nachher darf ich nicht mehr gefickt aussehen, denkt sie.
    Unter der Dusche spült sie den Schweiß von sich, Michaels Sperma und seinen Speichel. Und den Augenblick, den sie so mag. Als sie wieder ins Zimmer tritt, um die Haare ein Handtuch, sind die Vorhänge zurück gezogen und Michael trägt Shorts und ein T-Shirt. Jetzt ist ihr kalt und schneller als sie möchte, sucht Patrizia sich ihre Kleidung vom Boden zusammen, schlüpft in Tanga und Jeans, in BH und Bluse.
    „Meldest du dich?“ fragt sie, als sie sich vor dem Spiegel ihre Ohrringe in die vorgesehenen Löcher steckt.
    „Warum schminkst du dich?“, fragt Michael und erscheint hinter ihr. „Dein Gesicht ist perfekt.“
    Patrizia lacht kindisch, zieht Grimassen. Erfreut stellt sie fest, dass Michael lächelt. Wieder dieses Gefühl, bei ihm bleiben zu wollen. So sinnlos.
    „Wenigstens brauche ich nicht so viel MakeUp wie die da.“ Patrizia deutet auf das Portrait der älteren Frau, das ihr vorhin aufgefallen ist. „Wer ist das eigentlich?“
    „Meine Tante.“
    Patrizia dreht sich um, lehnt sich gegen die Kommode, stützt sich mit den Händen am Rand ab und hebt ihren Kopf.
    „Du brauchst kein MakeUp“, sagt sie, streichelt ihm mit dem rechten Zeigefinger über die Wange. „Du bist perfekt, Michael.“
    Er greift mit beiden Armen um ihre Hüfte und zieht sie zu sich. Ihre Gesichter sind wenige Momente voneinander entfernt.
    „Küss mich“, sagt sie. Seine warmen Lippen presst er auf ihre. Sein Speichel schmeckt angenehm, obwohl er so viel raucht. An Michael ist so vieles perfekt, denkt sie. Nur sein Karma scheint dunkel. Vielleicht hält sie das ab. Sie weiß es nicht.
    „Und jetzt muss ich wirklich los. Ich...“ Patrizia hält inne und blickt an ihm vorbei. Ja, ich muss, denkt sie, ich will nicht. Vielleicht...
    „Du hast noch einen Termin“, sagt er und lässt sie los. Patrizia nimmt ihre kleine Ledertasche vom Stuhl neben dem Bett.
    „Dieses Bild ist echt gruselig. Muss das da hängen?“ Sie zeigt wieder auf die Tante, deren Gesicht tot wirkt, obwohl sie sicher noch am Leben war, als es gemalt wurde.
    Patrizia küsst ihn nicht mehr zum Abschied, sie winkt ihm nur noch zu, sagt ein „Bis bald“ und verschwindet aus seinem Leben. Als sie auf die Straße hinaus tritt, in das morgendliche Licht einer lauten Großstadt, ärgert sie sich. Patrizia weiß nicht, warum, aber sie hat das Gefühl, sie wird Michael nicht wieder sehen. Sie kann nicht einordnen, ob es an ihm oder an ihr selbst liegen wird.
     

II
     
    Wieder zu Hause geht sie noch einmal unter die Dusche. Jetzt ist sie ganz Patrizia, die alte Patrizia, die Studentin, die sich mit einem Job finanziert, der für viele nicht nur ungewöhnlich ist, sondern unmöglich. Sie erzählt es niemandem, nicht einmal ihren Freundinnen. Patrizia arbeitet von zu Hause aus, heißt es offiziell, und sie kann damit leben, jeden zu belügen, der sie kennt.
    Michael verschwindet aus ihren Gedanken, wie jedes Mal, sobald sie sich von ihm entfernt hat. Auch das seltsame Gefühl, als sie ihn verließ, wird vom Wasser hinfort gespült, in die Abgründe eines Lebens, das sie niemals führen wird. Patrizia ist allein und das ist sie gern.
    Um die Mittagszeit ruft sie ihre neue Verabredung an. Sie diktiert, wann und wo. Das muss so sein. Er ist nicht der erste, der sie am Ende des Telefonats am liebsten zu sich nach Hause eingeladen hätte. Doch Patrizia wählt ihre Kunden so sorgfältig aus, dass sie sich mit ihnen zunächst stets in einem Restaurant trifft. Und der Mann hat zu bezahlen, selbstverständlich. Patrizia will sicher gehen, dass der Neue kein Psychopath ist, der an ihr seine nekrophilen Neigungen ausleben will oder ähnlich Abnormes. Und sie glaubt, in einem längeren Gespräch feststellen zu können, ob sie ihm trauen kann oder nicht. Seine Blicke und Gesten verraten, welch ein Typ er ist, und bisher täuschte sie sich nicht. Auch Michael lernte sie so kennen.
    Aber für alles gibt es einen Anfang. Das denkt sie jedes Mal. Was ist, wenn der Kerl ein Psychopath ist? Damit muss man doch rechnen. Für diesen Fall hat sie CS-Gas in ihrer Tasche, und ihre Fingernägel und Zähne als Waffen. Immer wenn sie sich solch ein Szenario vorstellt, dann verteidigt sie sich mit allem, was sie hat. Und in ihrer Fantasie gewinnt sie.
    Der neue Kunde scheint schon am Telefon harmlos. Patrick ist dreiunddreißig und Witwer. Das macht ihn sympathisch. Warum, ist ihr nicht
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