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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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Blödsinn ist. Genauso schadet es niemandem zu wissen, dass Büchners ›Dantons Tod‹ hinten und vorne nicht stimmt.«
    »Und du bist stolz drauf, dass du das weißt?«
    »Ich bin nicht stolz. Ich weiß es nur gern.«
    »Gratuliere!«
    Zum Glück kam die kellnernde Studentin der Politikwissenschaften mit dem Essen. Das Gespräch hatte eine Pause dringend nötig. Danach begann er von Neuem.
    »Weißt du, so viel begreife selbst ich, man muss für die Bühne die Geschichten komprimieren. Und da muss man klarerweise mogeln, denn der Bildhauer hat ja nie daran gedacht, seine Geliebte wegen ihrer TBC zu verlassen. Der blieb bei ihr bis zum Ende. Der Rodolfo hat ihm übrigens eine neue Freundin empfohlen.«
    »Erzähl ruhig weiter.« Den Satz missverstand er.
    »Ja, es ist interessant. Die Geschichte des einen Paares veredelt die des anderen. Die Entfremdung zwischen Rodolfo und Mimi hatte nämlich mit Husten gar nichts zu tun, nur mit ihrer Vorliebe für teure Fetzen, die ihre Freundinnen von den Liebhabern bekamen. Mimi hat den Rodolfo monatelang nach Strich und Faden betrogen, sogar in der eigenen Wohnung.«
    »Das weiß der Herr Mulger?«
    »Murger. Henri Murger. Der schreibt, dass der Maler Marcello das dem Rodolfo erzählt hat.«
    »Feine Herren.«
    »Die Mimi war dann noch mit einem reichen Gymnasiasten zusammen. Der hat ihr aber in gewisser Hinsicht nicht genügt, da hat sie sich dann einen Edelmann aufgerissen. Das war auch nichts. Dann ist sie wieder zu Rodolfo gezogen. Da haben sie dann zwei Jahre lang gestritten, weil Mimi die gedichteten Seiten immer nach Preis für Hüte und Tücher berechnete. Schließlich ist sie mit einem Vicomte abgehauen. Der Rodolfo hat ihr in der Modezeitschrift ein Liebesgedicht nachgeschickt. Das hat sie im Kaffeehaus gelesen. Und sie war so gerührt, dass sie den Vicomte gebeten hat, ihr die Zeitschrift zu kaufen. Das hat er aber nicht getan. Eifersucht.«
    »Was es nicht alles gibt. Schatz, ich habe heute so viel gezeichnet. Ich bin irgendwie – wir sehen uns morgen.«
    Sie entschwand nach einem flüchtigen Kuss.
    Der Student der Geschichte hatte das Gefühl, seiner Liebsten die Sache mit der Wahrheit der Bohème nicht richtig erklärt zu haben. Er las zu Hause noch einmal nach, was der Maler Marcello seinem Freund Rodolfo begreiflich machen wollte:
    »Das war alles sehr schön, und man könnte einen hübschen Roman daraus machen. Aber die Komödie verrückter Liebesgeschichten, diese Vergeudung verlorener Tage mit der Verschwendungssucht von Leuten, die glauben, eine Ewigkeit zur Verfügung zu haben, das muss aufhören! Es ist nicht möglich, dass wir noch länger am Rande der Gesellschaft weiterexistieren. Und haben wir überhaupt eine Existenz? Diese Unabhängigkeit, diese Freiheit der Sitten, die wir so rühmen, sind sie nicht sehr mäßige Vorteile? Die wahre Freiheit besteht in der Macht, seinen Nächsten entbehren und allein existieren zu können. Ist das möglich? Nein!«
    Schon interessant, wie man das Fragwürdige dieser Künstlerexistenzen in dieser Oper weggeschwindelt hat, dachte sich der Student der Geschichte. Und las begierig weiter.
    »Es genügt nicht, den Sommerpaletot im Dezember zu versetzen, um Talent zu haben. Man kann sehr gut ein wirklicher Dichter oder Künstler auch dann sein, wenn man seine Füße warm hält und drei Mahlzeiten einnimmt. Wenn man ans Ziel kommen will, muss man immer den Weg der Allgemeinheit gehen.«
    Diesen Marcello hätte sie – schöne Stimme hin oder her – nicht so angehimmelt, sagte sich der Opernneuling.
    Er wurde beim Lesen immer gereizter.
    Er dachte, das bürgerliche Publikum genießt in der Oper den Charme der Armut, die Süße der Hoffnungslosigkeit, und die Betroffenen dürfen nicht sagen oder von mir aus singen, dass sie das ganz anders sehen.
    Und – jetzt wurde der Student der Geschichte richtig wütend – warum wird dieser Satz Marcellos nicht berücksichtigt:
    »Wir sind nicht erschaffen und in die Welt gesetzt worden, um unser Leben diesen vulgären Manons zu opfern.«
    Dann meinte er, den sollte er doch lieber nicht zitieren, das könnte zu Missverständnissen führen.
    Tags darauf ging das studentische Liebespaar in der Mittagszeit im Stadtpark spazieren. Sie hatte wohl das Gefühl, am Vorabend zu wenig offen für seine Gedankengänge und zu schroff gewesen zu sein. Daher machte sie den Fehler, ihn neuerlich zu ermutigen.
    »Also, jetzt sagst du mir bitte noch, wie das mit der Mimi wirklich war.«
    »Und
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