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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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wohl fühlen. Der Primas kam diesmal sehr wohl zum Tisch und fragte, was die junge Dame denn gerne hören möchte. Die sah ihren Tenor fragend an. Und der sagte: »Avant d’amourir.«
    Der Primas geigte mit großer Hingabe und legte beim Refrain den Steg hinter dem Ohr des Mädchens an. Die reagierte hochbeglückt auf das Vibrato, was den Primas glücklich grinsen ließ. Der Tenor fingerte einen, für seine Verhältnisse, großen Schein aus der Tasche. Der Primas nahm ihn reaktionslos. Aber er blieb auch danach noch eine Viertelstunde beim Tisch des Pärchens. Im Tenor keimte die Gewissheit: Es wird sich gelohnt haben.
    Es war nicht das letzte Mädchen, das in diesem Lokal quasi sein Vorspiel erlebte. Der Primas schätzte den diesbezüglichen Geschmack seines Stammgastes. Und als der eines Abends, entgegen seinen festen Vorsätzen, seine Stimme erhob und Kálmáns »Zwei Mädchenaugen« in den Raum schmetterte, ging das Verhältnis zum Geiger in eine Freundschaft über. Das ging über drei Jahre so. Während dieser Zeit wurden zunächst der Bassist und dann der Klarinettist eingespart. Aber auch als nur mehr ein Cimbalspieler, der mit dem unerlässlichen verminderten Akkord seine Schwierigkeiten hatte, begleitete, das Stück »Avant d’amourir« blieb das Signet des jungen Tenors, seine amouröse Kennmelodie.
    Einmal, zu Silvester, war der Tenor unglücklich verliebt, also allein. Da setzte sich der Primas zu ihm und erklärte ihm seine Weltsicht:
    »Wie dein Großvater mit deiner Großmutter wohin gefahren ist, wie ist er gefahren? Mit der Kutsche. Wie lang hat er gebraucht? Lang. Hat er was anfangen können. Wie fahrt er heute? Mit dem Taxi. Wie lang braucht er? Ein paar Minuten. Kann er nix anfangen. Alle Techniker gehören eingesperrt.« (Müßig zu erwähnen, dass die Vokale anders klangen als in der schriftlichen Notation.) Zu Mitternacht sagte der Primas dem Tenor einen Neujahrswunsch, den er nie mehr vergaß: »Gut essen und gut trinken im neuen Jahr!«
    Nahezu zeitgleich wurden ein Gesangsstudium beendet und ein Lokal geschlossen.
    Der Tenor musste nicht lange vorsingen. Er begann an einem zweitersten Haus, hatte einen Vertrag mit hinreichend Möglichkeit zu gastieren, kam also viel herum. Und er blieb seiner Vorliebe für ungarische Lokale sowohl aus musikalischen als auch aus kulinarischen Gründen treu. Längst hatte er die Erfahrung gemacht, dass es keinen Primas gab, der »Avant d’amourir« nicht konnte. Wenn er den Titel nicht kannte, musste man ihm nur die ersten zwei Takte vorsummen, da gab er schon die Tonart an den oder die Partner weiter. Selten nannte er die Tonart, denn damit hätten die Begleiter nichts anzufangen gewusst, er spielte meist nur den Grundakkord an. Und los ging’s.
    Es kam zum Debüt am weltberühmten Opernhaus. In Donizettis »Der Liebestrank«. Nach »Una furtiva lagrima« gab es die ersten Bravos. Nach dem Schlussapplaus ein wütendes Buhkonzert beim Erscheinen des Regisseurs. Hinter dem Vorhang kam, als alles vorbei war, ein Fernsehteam auf den Tenor zu. Eine junge, bildschöne Frau stellte ihm die Frage, wie er das fände, da hätte man einen großen persönlichen Erfolg und müsse doch einen deutlichen Misserfolg mit erleiden.
    Der Tenor wusste schon Bescheid. Er erklärte der Dame ganz entspannt, Buhs gäbe es immer. Ist die Inszenierung konventionell, buhen die Progressiven, ist sie modernistisch, buhen die Traditionalisten. Während er das zum Amüsement der jungen Dame ausführte, verliebte er sich. Nach Ende des Interviews fragte er sie, ob sie ein gutes ungarisches Restaurant kenne.
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Weil ich dort gerne, morgen oder übermorgen, mit Ihnen essen würde.«
    »Morgen geht’s nicht. Aber übermorgen. Gerne.«
    »Aber wo?«
    »Mit meinem Ex war ich sehr oft im ›Dubrovnik‹.«
    »Das klingt aber nicht nach Ungarn.«
    »Nein, aber die haben einen phänomenalen Geiger.«
    Nein, nein, so einfach laufen Geschichten nicht. Das war natürlich nicht der alte Freund des Tenors. Das war ein junger, schöner, schwarzhaariger Virtuosenteufel. Der konnte »Avant d’amourir« mit allen Finessen der Geigenwelt anreichern. Als er, reichlich bedacht, den Tisch wechselte, sagte die Fernsehjournalistin:
    »Wie heißt das Lied, bei dem Sie beinahe ausgeflippt sind?«
    »Avant d’amourir.«
    »Wie?«
    »Avant d’amourir.«
    »Was soll das heißen?«
    »Vor dem Verlieben. Passt doch gut, was?«
    Sie sah ihn aus ihren klugen Augen an. »Das Wort
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