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Ballard, James G.

Ballard, James G.

Titel: Ballard, James G.
Autoren: Welt in Flammen
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    Als Dr. Charles Ransom mittags sein
Hausboot in der Flußmündung verankerte, sah er Quilter, den schwachsinnigen
Sohn der Alten, der auf einem morschen Kahn außerhalb des Jachtbeckens lebte,
am anderen Ufer auf einem Felsbrocken stehen und über die toten Vögel lächeln,
die zu seinen Füßen im Wasser trieben. Die Reflexion seines unförmigen Kopfes
schwamm wie ein seltsamer Nimbus zwischen den durchweichten Federn. Der
ausgetrocknete Uferschlamm war mit Papierabfällen und Treibholz übersät, so daß
der versonnene Quilter Ransom an einen geistesgestörten Faun erinnerte, der
sich mit Blättern bestreute, während er um die verlorene Seele des Flusses
trauerte.
    Ransom überprüfte die Ankertaue und
überlegte dabei, daß dieser Vergleich kaum zutraf, denn Quilter beobachtete den
Fluß zwar ebenso aufmerksam wie Ransom und alle anderen, hatte aber bestimmt
typisch perverse Motive dafür. Das ständige Sinken des Wasserspiegels, das
durch die anhaltende Dürre dieses Frühjahrs und Sommers begünstigt wurde,
schien ihm ein eigenartiges Vergnügen zu bereiten, obwohl er und seine Mutter
als erste darunter zu leiden gehabt hatten. Ihr alter Kahn – ein exzentrisches
Geschenk des Architekten Richard Foster Lomax, Ransoms Nachbar, der
gelegentlich als Quilters Protektor auftrat – krängte bereits so stark, daß der
Bootsrumpf wie ein vertrockneter Kürbis platzen würde, sobald das Wasser
weitere fünfzehn oder zwanzig Zentimeter sank.
    Ransom legte schützend eine Hand über
die Augen, als er am verlassenen Ufer entlang nach Westen sah, wo in acht
Kilometer Entfernung die Stadt Mount Royal lag. Er hatte die vergangene Woche
allein auf den Überresten des Lake Constant verbracht und hatte mühsam zwischen
Schlammbänken und Untiefen navigiert, während er auf das Ende der Evakuierung
der Stadt wartete. Nachdem das Krankenhaus in Mount Royal geschlossen worden
war, hatte er ebenfalls in Richtung Küste abfahren wollen, war dann aber doch
zu einer letzten Fahrt über den See aufgebrochen, bevor der Lake Constant endgültig
verschwand. Gelegentlich hatte er zwischen dampfenden Schlammhügeln in weiter
Ferne die Straßenbrücke über dem Fluß gesehen, auf der Tausende von Fahrzeugen
in einer endlosen Schlange nach Süden in Richtung Küste rollten.
    Ransom hatte seine Rückkehr absichtlich
aufgeschoben, bis auf der Brücke keine Bewegung mehr zu sehen war. Unterdessen
bestand der ehemals fast fünfzig Kilometer lange See nur noch aus einer Reihe
kleiner Tümpel und Kanäle zwischen hohen Schlammbarrieren. Einige Fischerboote
segelten verloren über diese ständig kleiner werdenden Wasserflächen, während
ihre Besatzungen schweigend am Bug standen. Im Gegensatz zu diesen Leuten, die
unter der Vernichtung ihrer Lebensgrundlage litten, hatte Ransom die
allmähliche Verwandlung mit Interesse verfolgt; je weiter der Wasserspiegel
sank, desto deutlicher hatte er das Gefühl gehabt, die nassen Dünen des
Seebodens gehörten einer anderen Welt an, die vor ihm noch niemand erforscht
hatte. Am letzten Morgen war sein Hausboot in einem Seitenkanal auf Grund
gelaufen, so daß er es nur mühsam wieder hatte flottmachen können.
    Als er sich der Flußmündung näherte
und dabei vorsichtig gestrandeten Jachten und Fischerbooten auswich, lag
Larchmont verlassen und still vor ihm. Die sonst so belebten Bootshäuser standen
leer, aber im Schatten hingen noch immer getrocknete Fische an den Leinen. In
den Gärten am Ufer rauchten Abfallfeuer, die schon lange brennen mußten, denn
auf den Straßen war niemand zu sehen. Ransom hatte angenommen, daß zumindest
einige Leute zurückbleiben würden, um hier zu warten, bis die zur Küste
führenden Straßen weniger verstopft waren, aber Quilters Gegenwart schien in
gewisser Beziehung ein obskures Omen zu sein, eines der vielen irrationalen
Anzeichen dafür, wie sehr die Trockenheit in der Verwirrung der letzten Monate
tatsächlich um sich gegriffen hatte.
    Hundert Meter weiter rechts befand
sich das Treibstofflager hinter den Betonpfeilern der Straßenbrücke; die
massiven Holzpfähle des Kais ragten hoch aus dem inzwischen längst getrockneten
Schlamm. Auch die ehemals schwimmende Pier, an der zahlreiche Fischerboote
vertäut gelegen hatten, ruhte jetzt hart am Rand der Fahrrinne im Morast,
während die wenigen unbeschädigt gebliebenen Boote in tieferem Wasser trieben.
Sonst war der Fluß im Spätsommer noch immer fast hundert Meter breit gewesen,
aber dieses Jahr erreichte er
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