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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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spielte der Onkel den Bauern f5. Diesen Zug kannte der Neffe nicht. Er roch ihm nach Provokation und Unterschätzung.
    Er dachte kurz nach und wählte ein aggressives Gegenspiel. Allzu aggressiv, wie sich bald herausstellte. Er gab relativ frühzeitig auf.
    »Es spricht für dich, dass du die nicht mehr weiterspielst«, spottete der Onkel. Er wollte das Brett drehen, da der Neffe ja jetzt Schwarz hatte. Der unterband die Bewegung. »Geh, spiel noch einmal diese Hochstapler-Eröffnung. Es ist ausgeschlossen, dass die korrekt ist.«
    »Gerne«, war die Antwort.
    Der Neffe versuchte eine andere Entgegnung und verlor wieder. Er ärgerte sich. Und ärgerte sich über seinen Ärger. »Was ist das denn für ein Scheißzug? Den gibt’s doch in der Literatur gar nicht.«
    »Du irrst, mein Lieber. Das ist das so genannte Lettische Gambit. Aber du hast mit dem ›Hochstapler‹ insofern recht, als die Großmeister diese Variante widerlegt haben. Du gewinnst damit nichts außer der Überzeugung, wenn Weiß die Entgegnung kennt. Aber ich habe nicht angenommen, dass du …«
    »Zeig sie mir.« Der Neffe war lernbegierig. Der Onkel hatte Spaß am Unterrichten.
    Nachdem die beiden die Entgegnung ausgiebig analysiert hatten, spielten sie in der Folge orthodoxe Partien. Der Onkel gewann im Verhältnis 3:1. Der Neffe war allerdings intelligent genug zu bemerken, dass die Konzentration des Onkels nach drei Siegen immer nachließ und nach einer Niederlage sofort wieder da war.
    Die sonntäglichen Schachnachmittage wurden den beiden zur lieben Gewohnheit. Der Neffe wuchs an der Klasse des Onkels und ließ sich daneben erklären, dass der Computer das kreative Schach vernichtet hätte, dass die Ökonomie der Welt unrettbar aus den Fugen geraten sei und dass das Studienfach Wirtschaftswissenschaften eine idiotische Wahl war. Letzteres glaubte der Neffe seinem Onkel nicht, hatte er doch mittlerweile hinreichend Kenntnisse von den Verdienstchancen im Bereich des gehobenen Managements.
    Gegen Ende des Studiums wurden die Sonntagsessen und die Schachpartien seltener. Die Berufung des akademisch graduierten Neffen in einen erstklassigen Job in einer anderen Stadt beendete die Partnerschaft. Der Kontakt beschränkte sich über viele Jahre lang auf Weihnachtskarten, da in der Familie niemand starb und niemand heiratete. Vom Vater hatte er einmal erfahren, dass der Onkel die Frühpensionierung angestrebt und auch erreicht hatte.
    Ein anderes Mal, dass ihm auch die zweite Frau davongegangen war. Ihre Tochter hätte sie als Köchin in der Theaterkantine untergebracht. Offenbar hat sie begriffen, dass der Beruf der Magd bei Entlohnung sinnvoller ist, hatte sich der Neffe damals gedacht.
    Und jetzt die Mitteilung: »Mein Bruder verkommt.«
    Das Flugzeug war im Landeanflug.
    Der Neffe hatte beschlossen, das Zeitfenster bis zu einem wichtigen Geschäftstermin auszunutzen. Er wollte den Onkel unbedingt sehen, sich nach seinem Befinden erkundigen. Er meinte, das seinem wunderbaren Schachpartner und Gastgeber schuldig zu sein.
    Er sprang in ein Taxi und ließ sich zu dieser vorstädtischen Wohnkastensiedlung fahren. Der Onkel war nicht zuhause.
    Der Neffe läutete an einer Nebenwohnung und erfuhr von einer geschwätzigen Nachbarin, um diese Zeit wären die Herren, offenbar also auch der ihre, beim »Böhmischen Landmann« und spielten Karten. Der Neffe ließ sich sagen, dieses Lokal wäre nur zweimal um die Ecke zu finden.
    Es war der neue Name für ein ziemlich elendes Gasthaus. Das hätte der Onkel seinerzeit wohl nicht frequentiert, dachte sich der Neffe nach dem Eintreten, als er seinen Blick schweifen ließ. Aus einer Ecke hörte er eine bekannte, aber versoffene Stimme.
    »Na, das ist aber eine Überraschung!«
    Der Onkel saß da, allzu sehr gealtert, schlecht rasiert und sichtlich nicht ganz nüchtern. Der Neffe wollte ausführen, dass er aufgrund eines beruflichen Termins die Chance nützen wollte … Der Onkel war an Erklärungen desinteressiert.
    Er forderte den Neffen auf, mit ihm was zu trinken.
    Der, wie man sieht, könne sich wohl auch was Besseres leisten. Der Neffe meinte, der nachfolgende Geschäftstermin verböte ihm den Alkohol. Dafür hatte der Onkel wenig Verständnis. Mit Blick auf die Uhr ärgerte er sich über die Unpünktlichkeit seiner Kartenpartner.
    »Und was ist mit Schach?«
    Der Onkel wurde fast wütend. »Wer spielt denn heute noch? Wer kann’s denn noch? Es gibt Lokale, die erlauben es gar nicht mehr!«
    Er fasste einen
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