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Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen

Titel: Partner, Paare, Paarungen - Erzählungen
Autoren: Langen Müller
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ein großformatiges Schlachtenbild von Delacroix starrte und sich nicht lösen wollte. Was sie nicht wissen konnte und später auch nicht mehr bedachte, war, dass das Interesse des jungen Herrn nicht so sehr künstlerische Gründe hatte, sondern historische. Er war nämlich Student der Geschichte.
    Die an diesem Abend angebahnte Verliebtheit der beiden hatte alles, was dazugehört, so auch das Missionarische, das Vergnügen, den Anderen Dinge erleben zu lassen, die er noch nie erlebt hatte. Eben auch den Besuch einer Oper, denn den hatte der Student der Geschichte in seinem Leben noch nicht einmal erwogen. Jetzt ließ er sich also die Hand drücken und musste sich eingestehen, von diesem Sentiment der Musik nicht unbeeindruckt zu sein. Er war sehr froh, ihr die Programmhoheit für diesen Abend überlassen zu haben.
    Was sie ihm in der Pause über das »eher Konventionelle« der Inszenierung sagte, interessierte ihn weniger, ihre Begeisterung über die Stimmen des Paares Rodolfo und Mimi konnte er teilen, natürlich ohne Vergleichsmöglichkeiten zu haben. Noch am Bettrand bekannte er, beim Duett, als sich der Dichter und der Maler nach ihren Geliebten sehnten, mit ihnen gefühlt zu haben. Da erdrückte sie ihn mit ihren Küssen.
    Am Tag darauf nahm er, nachdem sie sich in Richtung Akademie verabschiedet hatte, das Programmheft noch einmal zur Hand. Da fiel ihm eine Zeile auf: »Nach dem Roman ›Szenen aus dem Leben der Bohème‹ von Henri Murger«. Das machte ihn neugierig, denn was er in der Oper als »Handlung« gesehen hatte, war ihm nicht in allen Punkten schlüssig. Dass die Vorlage ein Roman sein sollte, konnte er sich nur schwer vorstellen. Er ging in die Buchhandlung seines Vertrauens. Dort befragte man den Computer und wurde fündig. Man müsse das als Taschenbuch lieferbare Werk bestellen, sagte man ihm, morgen wäre es da. Während am Tag danach die fleißige Kunststudentin wieder an ihrer Zukunft arbeitete, setzte er sich in das Uni-Buffet und las. Er las, wie er es als Historiker gewöhnt war, sehr gewissenhaft und speicherte. Am Abend traf man sich in der preisgünstigen und seit dem Rauchverbot nicht mehr so stinkenden Studentenkneipe.
    »Weißt du, dass Rodolfo, wie er übrigens gar nicht heißt, er heißt Rodolphe, mit ›p‹, ›h‹ und ›e‹, dass er einen roten Vollbart und eine Glatze hatte?«
    »Wie kommst du auf so was?« Sie war verwundert.
    »Ich habe den Roman gelesen.«
    »Welchen Roman?«
    Er erklärte es ihr. Er sagte ihr auch, dass – also gut: Rodolfo! beim Tod der Mimi erst 24 Jahre alt war und die ganze Gesellschaft eigentlich in ihrem Alter.
    Jetzt war wieder die Opernfachfrau am Zug.
    »Da muss man Kompromisse machen. Wegen der Stimmen.«
    »Versteh ich. Aber der Bauch …«
    »Wenn einer so schön singt, übersehe ich den.«
    Sie hatte überhaupt keine Lust, sich seine neu erworbenen Kenntnisse weiter anzuhören. Das merkte er aber nicht.
    Er war stolz auf sein Wissen.
    »Rodolfo war tatsächlich Dichter. Aber er war auch Chefredakteur einer Modezeitschrift, zeitweise sogar eines Hutmachermagazins. Es ist soziologisch interessant. Er hatte ständig kein Geld. Deshalb dichtete er auch Grabinschriften für gehobene Bürger und reimte die Lehrgedanken eines Zahnarztes.«
    »Sag, willst du mich ärgern?«
    »Überhaupt nicht, mein Schatz. Mich fasziniert nur der reale Hintergrund.«
    »Was hat der mit der Oper zu tun? Und was heißt ›real‹? Es ist ein Roman.«
    »Ja, aber ein Tatsachenbericht. Das merkst du auch beim Lesen genau.«
    »Freut mich für dich.«
    Er war nicht zu bremsen.
    »Rodolfo lernte Mimi nicht kennen, weil sie kein Licht hatte. Sein Vermieter hatte ihn wegen Zahlungsunfähigkeit kurzfristig rausgeschmissen und das Zimmer weitervermietet. Rodolfo konnte gerade noch erbitten, seine Schreibarbeiten abholen zu dürfen. Da sah er Mimi, die Nachmieterin. Zweiundzwanzig, übrigens. Die kannte er aber schon. Die war die Ex eines Kollegen. Er durfte dann bei ihr bleiben.«
    »Und der Husten? Und die kalte Hand?« Ihr Ton wurde störrisch.
    »Das gibt’s schon. Aber bei zwei anderen. Da hieß sie Francine. Und die hat einen Bildhauer so kennengelernt wie im Ersten Akt der Oper. Die war es übrigens, die sich immer nach einem Muff gesehnt hat.«
    »Sag einmal, was bezweckst du mit deinen Weisheiten?«
    »Gar nichts, Schatz, gar nichts. Aber begreife bitte, die ›Maria Stuart‹ von Schiller ist kein schlechtes Theaterstück, obwohl es historisch ein kompletter
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