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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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sagen wiederkommt, den kann man nicht gut fragen, wo er gewesen war, was er gemacht hatte. Höchstens, dass sie ihn hänselten, und er musste im gleichen Ton antworten. Wenn dieser Freund aufgetaucht und wieder verschwunden war, verschwand an einem der folgenden Tage auch Tuba, das allerdings hatten sie beobachtet. Wenn auch nicht jedes Mal. Es ließ sich genauso wenig vorausberechnen, wie auch nicht zu verstehen war, auf welche Art dieser schnurrbärtige Mann aus Budapest sie an diesen entfernten Orten ausfindig machte. Das wollte dem Bizsók nicht in den Kopf, aber er sagte nichts, fragte nichts. Trotzdem blieb da ein kleiner Schmerz, der ihn an Dinge erinnerte, die zu vergessen vielleicht besser gewesen wäre. Und auch weil der ewig grinste, mochte er den Schnurrbärtigen nicht. Immerhin war er in den langen Jahren der Arbeit dank vielem Nachdenken zum Schluss gelangt, dass der grinsende Freund den Tuba beim ersten Mal begleitet hatte, damit der Zigeuner nicht allein auf Arbeitssuche gehen musste. Das gefiel ihm doch wieder an diesem Freund, mit dem er im Übrigen nie plauderte und dessen Familienname ihm immer wieder entfiel.
    Sogar dessen Vorname, Gyula, fiel ihm nur selten ein, denn er wollte ihn aus der Erinnerung verdrängen, aber dann tauchte der doch wieder unerwartet auf.
    Was immer sie taten, gemeinsam oder jeder für sich, sie passten auf, dass sie das Leben der anderen weder mit Worten noch mit Blicken antasteten. Das war eine Grundregel, die keiner verletzen durfte. Bizsók sagte einmal jemandem gleich am ersten Tag, er solle sein Arbeitsbuch holen. Der Betreffende war dann auch gleich weg. Alle wussten, was geschehen war, aber in solcher Nähe konnten sie ihre Selbstachtung nur wahren, wenn sie von den Angelegenheiten der anderen nicht sprachen. Es gibt natürlich unvorsichtige und also folgenschwere Bewegungen, Wörter, ungewollt geweitete und vielsagende Blicke, an die man sich später erinnert. In das wohlüberlegte Verhalten schleicht sich ein Fehler ein, und im Gesicht des anderen leuchtet etwas auf oder verdüstert sich.
    Bizsók verstand vieles nicht, aber auch die anderen drei Zigeuner verstanden nicht, wie Tuba ungestraft zwei volle Arbeitstage lang verschwinden konnte. Für ein solches Vergehen hätte der Bizsók sie bestimmt gleich entlassen.
    Am Mittag, als sie vom Biertrinken zurückkamen und die fremden Sachen im Wagen entdeckten, geschah etwas Unverständliches, diesmal aber unter den Zigeunern.
    Tuba gab dem Jakab eine schallende Ohrfeige.
    Wenn der ältere Téglás in diesem Augenblick nicht die Lider gesenkt hätte, hätte sich in seinen dunklen Augen die ganze Irritation gezeigt, die er sonst mit gutem Willen und Rücksicht im Zaum hielt. Bizsók murrte auf. Imre Téglás begann fuchtelnd zu schreien.
    Er verstummte sofort wieder, denn sein Bruder hatte offensichtlich etwas anderes im Sinn.
    In der Maschine brodelte Material für mindestens sechzehn Fuhren, das musste verteilt werden, damit der Bizsók mit der Walze darüberkonnte. Dieser behielt hinter den dicken Brillengläsern seine Männer im Auge, aber auch er war ratlos.
    Als hätte sich plötzlich gerächt, dass er mit Tuba so nachsichtig verfuhr.
    Jakab warf sich weinend und brüllend, nicht wegen der starken Ohrfeige, sondern aus Verzweiflung, auf den Fußboden des von der Sonne erhitzten Wagens. Nicht er habe diese teuren fremden Sachen gestohlen. Er schlug sich selbst mit den Fäusten gegen den kahlgeschorenen Kopf und hätte ihn, wenn sie ihn nicht zurückgehalten hätten, sogar gegen die Wagenwand geschlagen.
    Er brüllte, auf Ungarisch, auf Zigeunerisch, schwor, der Herrgott selbst könne es sehen, er sei es nicht gewesen, was willst du von mir, nicht er, sondern ihm habe man die brandneue Arbeitskleidung gestohlen.
    Eigentlich hatte niemand etwas gesagt.
    Wie kam dann die teure Hose aus leicht glänzendem Stoff auf den Bügel, und das feine herrschaftliche Hemd, ein echtes hellblaues Oxfordhemd, und unter dem Bügel die schönen handgenähten, kaum getragenen
Old English Box
-Schuhe, das fragten sich alle.
    Und ja, warum war gleichzeitig die brandneue, noch nie getragene Arbeitskleidung des Jungen verschwunden, die er so in Ehren hielt, dass er lieber die abgelegten Sachen seines Onkels trug, um sie zu schonen.
    Und wo zum Teufel waren Tubas gummibesohlten Sicherheitsschuhe auf einmal hingekommen.
    Wenn Bizsók zum Gemeindepolizisten ging, und der meldete den Fall in der Zentrale, würde er drei Männer gleichzeitig
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