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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten
Autoren: Péter Nádas
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erscheinen ließ. Die Frauen hätten den kleinen Jungen auch gern ein bisschen an sich gedrückt. Die Schönheit des Kindes rührte sie, aber er strahlte Abweisung aus.
    Tuba ließ lange Zeit niemanden an sich heran, und auch später hatte er kaum das Bedürfnis nach körperlicher Berührung.
    Der Alte trug einen großen Sack und auch das Beil über der linken Schulter, so hatte er eine Hand frei. Sein graues, stark fädiges Haar war in der Mitte gescheitelt, nach uraltem Gesetz durfte es die Schere des Barbiers nicht berühren. Wenn die Herren oder die Gendarmen einem Zigeuner das antun, und das kommt vor, bläute der Alte dem kleinen Jungen ein, ist das die größte Schande seines Lebens. Er selbst habe diese Schande vermieden, erzählte der Großvater, indem er, als ihn die Soldaten mitnehmen wollten, sich beim Pfarrer von Korpavár ein anderes Schriftstück über seine Geburt habe ausstellen lassen. Man müsse immer ein paar Jahre weniger oder mehr angeben, damit man nicht mitgenommen werde.
    Der Pfarrer habe in seinem Buch immer jemanden gefunden, der vom Alter her passte.
    Seit der Zeit trügen sie diesen falschen Namen.
    Als er zum Pfarrer von Korpavár gegangen sei, habe jener Tuba schon längst nicht mehr gelebt.
    Und so sei er in Wahrheit vier Jahre älter als auf dem Papier stehe.
    Sein schön gefurchtes, strenges Gesicht, auf dem, mochte geschehen, was wollte, die Gemütsbewegung keinen einzigen Muskel zucken ließ, denn das hätte die Ahnen beleidigt, war nach altem Brauch von zwei dichten Haarflechten umgeben, die in der Zigeunersprache
kader
heißen.
    Im Übrigen war das der große Sack auf der Schulter, mit dem die Bauern ihre grausigen Bälger schreckten. Der Zigeuner schneidet dich entzwei, steckt dich in seinen Sack und nimmt dich mit. Auch den Sack trug er auf dem Rücken wie seine Ahnen. Der dämliche Bauer meint ganz hochnäsig, er sage etwas Hässliches, obwohl
zigan
in seine Sprache übersetzt ja nur Mensch bedeutet.
    Es tut ihm halt wohl zu sagen, du Zigeuner Soundso. Für uns hingegen ist es, als sage er gar nichts.
    An die alten Begebnisse erinnerte sich Großvater Tuba so, wie er sie aus den Erzählungen seines eigenen Großvaters kannte, wenn er sich aber an etwas doch nicht erinnerte, erfand er es beim Erzählen. Auch János Tuba erzählte auf diese Art, sah das alte Feuer anstelle des jetzigen, und während er in die fehlenden Teile seine eigenen Erfahrungen einschob, sah er in den trägen Rauchschleiern die Gestalt seines Großvaters hocken, wie er mit einem Stock in der erlöschenden Glut stochert.
    Saß auch der Bizsók bei ihnen, verschwieg er gewisse Dinge, um den Ungarn nicht einzuweihen, oder gab an anderen Stellen mächtig hinzu.
    Aber von sich selbst oder von den wirklichen Begebenheiten ihres Lebens sprachen diese Männer nicht gern.
    Auch waren die Abende nicht lang.
    Nach der Arbeit mussten sie sich waschen, und auch wenn sie nicht selbst wuschen und flickten, das brachten sie lieber der Frau nach Hause mit, gab es doch immer etwas in Ordnung zu bringen. Während der eine den Wagen saubermachte, kochte der andere. Die Zigeuner aßen ihr Essen gemeinsam, Bizsók für sich allein. Zuweilen machten sie sich nach der Arbeit alle auf, zum Bier- oder eher Gespritztentrinken, und da ging auch der Bizsók gern mit, schon weil er sie lieber nicht aus den Augen ließ. Vier Zigeuner in einer wildfremden Dorfkneipe hatten einiges zu befürchten, und nicht überall war es ratsam einzutreten. Oder sie gingen und ließen einen von ihnen zurück, weil der allein bleiben wollte. Sie waren zwischen fremde Leben geraten, was ihr Zusammengehörigkeitsgefühl verstärkte, Bizsók war davon ein wenig befremdet, aber als ihr Werkmeister musste er einsehen, dass er ihnen Redestoff genug lieferte. Sie mussten ja auch eine sozialistische Brigade darstellen, und so konnten sie im Brigadetagebuch notieren, dass sie nach der Arbeit das Gemeinschaftsleben pflegten.
    Am ehesten war es Tuba, der seiner eigenen Wege ging oder im Wohnwagen zurückblieb.
    Das sah Bizsók nicht gern.
    Manchmal kam Tubas Kamerad vom Militär, mit dem trafen sie ihn an, wenn sie heimkehrten, der schnurrbärtige Ungar, der ihn beim ersten Mal begleitet hatte. Der tauchte immer auf, als wüchse er aus der Erde, und genauso unbemerkt verschwand er. Dagegen konnte Bizsók nichts einwenden. Es gefiel ihm sogar, dass jemand einen so treuen Freund hatte. Sie ähnelten sich sogar im Wuchs. Und wer wortlos verschwindet und ohne etwas zu
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