Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Papierkrieg

Titel: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
Vom Netzwerk:

in die Endlosschleife schickte. Würdige, barocke Schwermut, von Bach in
perfekte Tonfolgen gesetzt, voll von tiefem Gefühl, aber nicht ohne eine Spur
von eleganter Repräsentation, erfüllte den Raum.
    Mila war gegangen. Sie hatte unsere 200.000 kleinen Freunde
mitgenommen. Eine schöne Stange Geld, wie sie schrieb, aber zu wenig, um zu
teilen. Ich solle ihr nicht böse sein, so eine Gelegenheit böte sich nur einmal
im Leben, die müsse sie ergreifen.
    Als die Kanne Sencha leer war, hatte ich mich soweit gefangen,
dass ich wieder in mein beschauliches Gelehrtendasein zurückkehren konnte. Die
nächsten Wochen waren ganz der philologischen Arbeit gewidmet. Wie vor dem
verhängnisvollen Joyride verbrachte ich meine Zeit in Bibliotheken und
Archiven, ganz in den sinnlichen Genuss philologischer Kontemplation versunken.
Ich hielt meine Lehrveranstaltungen präzise und gut vorbereitet und war
insgesamt auf dem Weg, meinen Vertrag zu verlängern. Diese wohlgeordnete und
kirchenmausarme Existenz wurde nur durch zwei Gespräche mit der Polizei unterbrochen,
bei denen ich jedoch nur als Zeuge und Helfer fungierte.
    Der arme Lawrentje Schatow, den das Erbe seines Vaters das Leben
gekostet hatte, wurde unterhalb Bratislavas an den Donaustrand gespült. Der
Zustand des Leichnams war bereits so schlecht, dass sich weder sagen ließ, ob
die Verletzungen von Schiffsschrauben oder Schlimmerem herrührten, und schon
gar nicht, ob sie post- oder prämortal waren. Sergej Trofimowitschs Leute
hatten ganze Arbeit geleistet. Schatow hatte einfach nur aus einem Teil seines
Erbes Geld gemacht, um in Wien ein nettes Wochenende zu verbringen. Ein paar
Gramm Papyrus, von deren Existenz er nichts ahnte, waren ihm zum Verhängnis
geworden. Als er realisierte, was sich in den Rahmen der verkauften Bilder
befunden hatte, war er gierig geworden und wollte sein Eigentum zurück. Das war
ihm nicht bekommen. Außerdem hatte man in seinem Hotelzimmer den Revolver, mit
dem Slupetzky erschossen worden war, gefunden. Damit war dieser Fall für die
Polizei geklärt, da sich direkt neben der Waffe Schuldscheine befunden hatten,
die von einem drastischen Spielverlust an Slupetzky zeugten. Die angenehme
Anordnung der Beweise wurde von den ermittelnden Beamten, überarbeitet und
unterbezahlt, nicht in Frage gestellt.
    Das zweite Mal kamen Katze und Fuchs zu mir, weil man Berti
entdeckt hatte. In einer kleinen Pension im Burgenland war er tot aufgefunden
worden. Mit einer Bierdose in der Linken und einer Marlboro, die sich tief in
das Fleisch seiner Finger gebrannt hatte, in der Rechten. Sein weißes Feinripp
war blutig, was von einem Schuss in die Herzgegend herrührte. Das Kaliber der
Tatwaffe, der benutzte Schalldämpfer und die Zeugenaussagen ließen die Polizei
an einen Auftragsmord glauben.
    Die Gespräche waren mir nicht mehr als Last
und Bürde. Sobald Katze und Fuchs das Weite gesucht hatten, war ich wieder
froh, zu meiner Arbeit zurückkehren zu können. Neben diesen beiden Besuchen gab
es nur noch ein erwähnenswertes Ereignis. Freds Beerdigung. Bender hatte mich
eingeladen und so fand ich mich am Freitag nach meinem Vortrag am
Zentralfriedhof ein. Schwarze Schuhe, schwarzer Anzug, schwarze Krawatte,
schwarzer Mantel und weißes Hemd. Etwa 20 Personen beiderlei Geschlechts
standen um das leere Grab, ein Priester sprach, ohne dass jemand zugehört
hätte, und es nieselte unaufhörlich. Bender stand am Sarg und nahm die
Kondolenzen entgegen, er wirkte wie ein Vater, der einen Sohn verloren hat.
Nach dem Leichenschmaus nahm er mich kurz zur Seite. »Servus, Kleiner. Ich
wollt dir nur sagen, ich werd Schluss machen.«
    »Mit was?«
    »Mit dem Laden und all dem Blödsinn. Es gfreut mich nicht mehr.
Meine Freunde sind alle bereits ein Vierteljahrhundert tot, ihre Nachfolger
widern mich an und ohne Fred bedeutet es mir nichts mehr. Ich werd meinen
Besitz auflösen und irgendwohin in den Süden ziehen.«
    Er zog den schwarzen Handschuh von seiner Rechten und wir
schüttelten uns die Hände.
    »Leb wohl, Kleiner.«
    Damit verschwand er aus meinem Leben und ich sah ihn nie wieder.
    Ein paar Wochen nach dem Begräbnis, es war Anfang April, machte
ich mich auf, um oben in Grinzing meine ökonomischen Interessen zu vertreten.
Aus einer Laune heraus hatte ich meinen Begräbnisanzug an und wirkte mit dem
dünnen Schlips fast wie einer der Gangster aus einem Quentin-Tarantino-Film.
Nachdem ich geläutet hatte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher