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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
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bedacht.
    Danach begann ich mit einer Einleitungsfigur über die Bedeutung
von Sprache überhaupt. Ich stellte sie als das wichtigste Werkzeug menschlichen
Wesens dar, um somit auch der Forschung an, über und mit Sprache ausgezeichnete
Bedeutung zuzuschreiben. Dann lenkte ich sachte auf das eigentliche Thema bei
Homer hin, den Zorn des Achilles in der Ilias, und dessen Auswirkungen auf die
Menschen, die sich unglücklicherweise innerhalb des ›event horizons‹ dieses
Ereignisses befanden. Psychologisches und Narrativtheoretisches ließ ich gänzlich
beiseite und konzentrierte mich auf diejenigen Teile des Epos, die sich mit dem
Horror des Krieges befassen. Ich stellte die Ilias in eine Reihe mit Picassos
›Guernica‹, den Antikriegsfilmen der großen amerikanischen Regisseure, und
Remarques ›Im Westen nichts Neues‹.
    Ich kitzelte die drastischen Details, auf die Homer so viel Wert
legt, heraus. Die durchstoßenen Zungen, die auslaufenden Augen der vom Speer
Durchbohrten und vom Schwert Zerstückelten. Den völlig unglamourösen Tod im
Staub der skamandrischen Ebene, ohne Ruhm und Ehre, nur mit Schmerz, Blut und
Schmutz.
    Im Anschluss holte ich die homerischen
Gleichnisse heraus, in denen Achill mit Löwe, Wolf und Delfin verglichen wird.
Einerseits betonte ich die Genauigkeit und Nüchternheit der Darstellung, denn
sogar der Delfin hat bei Homer nichts von einem Flipper, sondern alles von
einem verschlingenden Räuber, der Furcht und Schrecken verbreitet. Andererseits
erleuchtete ich den größeren Zusammenhang und zeigte das ganze Epos als
Darstellung des notwendigen Ergebnisses, wenn ein Mensch für sich herausnimmt,
wichtiger als ein anderer zu sein. Als ich dann in einem geistigen Höhenflug
noch kurz anmerkte, wie viel mehr diese Hybris bei den heute zur Verfügung
stehenden Waffensystemen zu fürchten ist und im Zuge des Nationalismus sich
ganze Völker als überlegen betrachten können, lenkte ich wieder zurück zur
Bedeutung der kulturwissenschaftlichen Fächer im Allgemeinen und der
philologischen im Besonderen für die kritische Reflexion.
    Ich warf einen Blick auf die Uhr, ich hatte meine Redezeit um gute
15 Minuten überschritten, aber weder wurde gehustet noch mit den Füßen
gescharrt. Alles war gut gegangen. Nach einem Schluck Wasser beendete ich den
Vortrag. Ein warmer Applaus drang mir entgegen, es wurden Fragen gestellt. Die
übliche Mischung aus Unwissenheit, Selbstdarstellung und Schüchternheit.
Schließlich war auch das überstanden und ich konnte mich zum Büfett begeben.
    Ich musste ein paar Hände schütteln und ein paar Komplimente
schlucken, an der Bar traf ich auf Professor Glanicic-Werffel, die mir
ebenfalls glücksstrahlend die Hand reichte und in eine nicht enden wollende
Lobeshymne ausbrach. Irgendwer drückte mir ein Glas Sekt in die Hand und ich
war dankbar. Denn so war alles leichter zu ertragen. Das Glas kam von Mila,
somit war auch sie noch vorzustellen, was schwer war, ohne in einem Meer aus
Peinlichkeiten unterzugehen. Als ich dachte, das Schlimmste hinter mir zu
haben, fühlte ich eine schwere Hand auf der Schulter. Nun war auch noch die
russische Mafia aufgetaucht. Glanicic-Werffel war ganz angetan von Sergej
Trofimowitsch, der sich, ganz russischer Gentleman, nur mit Vornamen und
Patronymion vorstellte. Es entspann sich eine skurrile Unterhaltung, in die
Mila auch das eine oder andere Wort einwarf. Ich stand daneben und erwartete
jeden Moment eine Wendung, in der irgendeine unbedachte Äußerung meinen
Untergang bedeuten würde. Aber es kam keine. Zumindestens nicht, bis Dittrich
zum Kreis hinzutrat. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, fragte er mich, kaum
dass er sich den anderen vorgestellt hatte, nach dem Buch. Wie ferngesteuert
griff ich in meine Tasche und überreichte es Dittrich. Sergej Trofimowitsch
registrierte das überhaupt nicht. Auch bemerkte niemand, dass er einfach seinen
Aktenkoffer stehen gelassen hatte. Ich hatte meine Tasche vorsichtshalber im
Büro gelassen. Also stellte ich den Aktenkoffer auf eines der Tischchen und
legte meinen Homer und ein paar Zettel mit Alibinotizen hinein. Der Koffer war
voller Geld, lauter 500-Euro-Scheine. Mila und ich standen wie versteinert vor
dem schönsten Anblick unseres bisherigen Lebens. Dann klappte ich zu. Niemand
hatte auch nur das Geringste bemerkt. Es wurde getratscht, geflirtet und
parliert. Sogar die beiden unvermeidlichen Leibwachen des Russen
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