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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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fremd war.
    Seine Lieblingsreporter gehörten alle zum aggressiven Schlag, der trotz der Jagd nach Ereignissen, trotz all der Recherchen und Ermittlungen, der Schmeicheleien und Betrügereien, mit denen sie an ihre Storys kamen – später gaben sie dann mit ihren Methoden an –, es weit mehr hasste zu schweigen, als sich zu irren.
    Etwas zu erzählen, erregte sie weit mehr, als etwas zu wissen. Einen kurzen Augenblick waren sie dann genauso wichtig wie die Neuigkeit selbst.
    Und auf gewisse Weise gehörte Ward zu ihnen. Damit will ich nur sagen, dass es da in seinen Geschichten etwas gab, das er für sich selbst wollte. Nicht, dass er gern berühmt gewesen wäre.
    Zu Hause war er wie meine Mutter gewesen, hatte still dagesessen und den Geschichten meines Vaters über Flutkatastrophen, über Unfälle bei Flugvorführungen und immer wieder über Ralph McGill zugehört, sooft der sie erzählen mochte.
    Und wie meine Mutter war er am Ende die Geschichten leid. Er wusste, er konnte mit ihnen nicht konkurrieren, also ging er.
    Natürlich verschwanden sie jeder auf eigene Art. Mein Bruder kam einfach nicht mehr vom College zurück, nahm stattdessen diverse Jobs als Reporter an und landete schließlich bei der
Miami Times
. Meine Mutter dagegen zog mit einem Schauspiellehrer vom Moat County Junior College, der häufig Leserbriefe für die Herausgeberseite in der Zeitung meines Vaters verfasst und ihn in seinen liberalen Ansichten unterstützt hatte, nach Kalifornien.
    Mein Vater ertrug diese Verluste mit Fassung und hielt Wards Fortbleiben für eine Entwicklungsphase – eine gesunde Erfahrung, wie er es nannte, und eine gute Vorbereitung für die spätere Arbeit als Herausgeber der
Moat County Tribune
. Über meine Mutter hegte er keine derart optimistischen Theorien.
    Sie hatte sich regelrecht aus seinem Leben fortentwickelt.
    Und so saß mein Vater nach dem Abendessen in dem zweistöckigen weißen Haus, das er sich in der Macon Street gebaut hatte und in dem nun niemand mehr wohnte, von dem Hausmädchen einmal abgesehen, das ihn trotz seiner öffentlich gezeigten Sensibilität für Schwarze nicht mochte, sowie dem Sohn, der für seinen Beruf nichts übrighatte, erzählte seine Geschichten und inspizierte die Zeitungen, wie er es immer getan hatte, bis er schließlich zur
Miami Times
kam, die er Seite für Seite nach der Verfasserzeile »Ward James« absuchte.
    An den Tagen, an denen er sie fand, unterließ er all die übrigen kleinen Dinge, die er sonst so tat – an seinem Wein nippen, die Brille zurechtrücken, die Füße aneinanderreiben –, und las den Artikel sorgfältig durch, oft sogar zweimal, bis sich allmählich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Hatte er den Artikel zu Ende gelesen, hielt er die Zeitung weit von sich, um die Platzierung oder die Länge des Textes zu beurteilen und daran, so vermute ich, den Aufstieg meines Bruders in seine Welt zu ermessen.
    Wenn er damit fertig war und der Stapel Zeitungen in seinem Schoß durch die Hände zu den Füßen gewandert war, fragte er manchmal, ob ich am Nachmittag schwimmen gewesen war, und nachdem ich mit Ja oder Nein geantwortet hatte – er stellte die Frage aus purer Höflichkeit; meine Antwort interessierte ihn nicht mehr, seit ich nicht mehr für Wettkämpfe trainierte –, sah er auf die Uhr, reckte sich und ging zu Bett.
    »Halb sieben wird es früh genug«, sagte er, immer dieselben Worte, und schien zu vergessen, dass mein Tag um halb sieben bereits vier Stunden alt war. Ich sah ihm nach, wie er die Treppe hinaufstieg, und nahm, wenn Ward etwas geschrieben hatte, die
Times
, um seinen Artikel zu lesen.
    Bis zu dem Flugzeugabsturz ging es darin meist um Mord oder Drogengeschichten. Fast immer waren es die Kubaner. Und ich dachte an die Bücher, die Ward durchgearbeitet hatte, an den pedantisch strengen Schulunterricht, und versuchte mir vorzustellen, was es wohl für ein Gefühl war, wenn er daran dachte, dass all die Jahre Latein, Chemie, Physik und Differenzialrechnung ihn nur bis in irgendeinen dritten Stock in einem Getto von Miami geführt hatten.
    Da ich selbst einige Zeit auf dem College verbracht hatte, nahm ich an, dass er darüber erleichtert war.
    UNTER JENEN VORFÄLLEN von Gesetzwidrigkeit, die im Jahr 1969 die Familie James heimsuchten, überraschte mich meine Exmatrikulation von der University of Florida weit weniger als die Verhaftung meines Bruders wegen Trunkenheit am Steuer.
    Bis zu dem Sonntag, an dem Ward anrief, hatte ich
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