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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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wissen wohin, nur fort, weil er woanders sein wollte als dort, wo er war.
    Allerdings darf man, wie immer Sheriff Call auch seine letzten zweihundert Meter zurückgelegt hatte, wohl behaupten, dass es, mit Ausnahme des Krieges, kaum ein Ereignis in der Geschichte des Countys gab, das es für seine Bürger an Bedeutung mit dem Tod des Sheriffs aufnehmen konnte. Und da sie nicht wussten, wie sie dem Verlust anders Rechnung tragen sollten – nicht dem Verlust von Thurmond Call, sondern von etwas Grundlegenderem, das die Leute schon seit Langem fürchteten –, ließen sie dem Sheriff auf dem Marktplatz von Lately eine Statue errichten. Sie steht noch heute dort und erinnert an jenen Bruch in der Geschichte, den das Ableben des Sheriffs markierte.
    Manchmal erscheint an Halloween eine Narbe auf seinem Abbild, die vom Magen bis zur Leiste verläuft. Dieses Andenken an Sheriff Calls verdienten Lohn wird üblicherweise jugendlichen Straftätern angelastet, doch mangelt es dieser Behauptung dermaßen an Überzeugungskraft, dass statt Vandalismus ein gehässigeres Ansinnen vermutet werden darf.
    DER MANN , den Sheriff Call in Lately zu Tode trampelte, hieß Jerome Van Wetter und war einmal Verkäufer für Chrysler und Plymouth bei Duncan Brothers Motors gewesen. Er wurde letztlich nicht deshalb entlassen, weil er ein Säufer war – das war er, doch sind Säufer nicht unbedingt schlechte Verkäufer; irgendjemand muss schließlich auch Autos an andere Säufer verkaufen –, sondern weil trotz der vielen Jahre, die er schon in dem Geschäft arbeitete – und obwohl er treuen Plymouth-Käufern ebenso zum Inventar des Vorführraums zu gehören schien wie die neuen Wagenmodelle –, etwas an ihm die Kunden verschreckte. Diese Wirkung konnte er weder mit seiner Kleidung noch mit seinem Geschwafel über Jugend-Baseball oder auch mit einem Lächeln mildern. Sein Lächeln machte alles nur noch schlimmer. Ich weiß das, weil ich einmal mit diesem Lächeln und den neuen Plymouths allein gelassen wurde, während mein Vater und Mr. Duncan ins Büro gingen, um einen Vertrag für einen neuen Chrysler zu besiegeln.
    Die unbestimmte Bösartigkeit, die Jerome Van Wetter ausstrahlte, schien ihm wie seine Anzüge mit überraschenden Falten und Kniffen am Leib zu hängen, offenbarte aber erst in seinen Augen ihre ganze Kraft. Sie hatten etwas von einem Raubvogel, wenn sie einen anstarrten, etwas erwarteten und verharrten, und bis sich seine Neugier schließlich wie ein leises Lächeln regte, hatte der Mann jene kleinen Orte in einem gefunden, an denen er nichts zu suchen hatte. Er schien die Wirkung zu kennen, die er auf seine Kunden ausübte, und trug im Geschäft stets eine Sonnenbrille.
    ICH ERWÄHNE Jerome Van Wetters frühere Beschäftigung als Verkäufer nicht, um seinen späteren Misserfolg in der Autobranche zu betonen, sondern weil sein Job bei Duncan Motors meines Wissens der einzige war, den er je gehabt hatte. Zumindest war es seine einzige Arbeit, die nicht mit Wilderei in Zusammenhang gebracht werden konnte. Darüber hinaus stellte dieser Vorstoß ins öffentliche Geschäftsleben von Moat County alle bekannten sozialen und beruflichen Leistungen sämtlicher Van Wetters, gestern wie heute, weit in den Schatten.
    Sie waren eine Familie, die sich abseits hielt, am Rande der Zivilisation lebte und in der Gegend von Lately, in der die meisten von ihnen wohnten, häufig mit Bären verglichen wurde, die irgendwann ihre Angst vor den Menschen abgelegt hatten und deshalb beseitigt werden mussten. Doch selbst der zahmste Van Wetter war nicht so zahm, dass man unter dem Blick seiner blassblauen Augen gemütlich in einem neuen Plymouth Fury gesessen hätte, einen Fuß auf dem Papier, das schützend über den Fußmatten lag, den anderen Fuß noch auf dem Boden des Vorführraums, in der Nase den Geruch nach neuem Polster und süßem, metastasiertem Alkohol, der durch Van Wetters Poren drang.
    Deshalb hat Mr. Duncan Jerome Van Wetter letztlich gehen lassen. Auf der anschließenden Sauftour wurde Van Wetter verhaftet und von Sheriff Call dann zu Tode getrampelt.
    Kein Mensch war überrascht, als eine Woche nach dem Mord an Sheriff Call Jeromes Vetter ersten oder zweiten Grades, Hillary Van Wetter, für diese Tat verhaftet wurde. Es war allgemein bekannt, dass die Van Wetters zusammenhielten.
    Nach verbreiteter Ansicht war Hillary Van Wetter das unberechenbarste und bösartigste Mitglied der ganzen Familie – ein Ruf, den er sich einige Jahre
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