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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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in der Küche ist«, sagte ich und griff nach einem Glas.
    Er starrte an die Decke, als versuche er zu begreifen, was mit dem Licht geschehen war.
    »Einfach so«, sagte Ward. Ich sah, wie er lächelte.
    »Was ist einfach so?« fragte ich.
    Ich trank das Glas aus und dann noch eins, aber irgendwie schmeckte der Champagner jetzt zu süß.
    »Einfach so«, sagte er noch einmal. Er hustete, und am Ende ging der Husten in die Andeutung eines Lachens über.
    »Anita ist in der Küche«, sagte ich.
    Irgendwo im Saal wurde eine Frauenstimme laut und verstummte wieder, und allmählich begann das Gemurmel der Unterhaltungen wieder, nicht so laut wie vorher, aber doch so laut, dass es den Raum füllte.
    Mein Bruder hustete erneut, und dann lachte er laut. Leute drehten sich um, und er riss sich zusammen, aber dann musste er wieder lachen. Es war ein seltsames Lachen. Es schien ein Eigenleben zu haben und Ward in Besitz zu nehmen, sodass er ein, zwei Augenblicke später den Kopf in Händen hielt und jaulte, als wäre er verrückt geworden.
    »Einfach so«, sagte er.
    Ich ging hinaus in den Regen und den Wind und kotzte auf den Rasen.
    HURRIKAN »SYLVIA« durchquerte Moat County, zog nach Nordosten, folgte dem Verlauf des St. Johns Rivers, fegte durch Jacksonville und dann wieder hinaus aufs Meer.
    In weniger als neun Stunden ließ er mehr als zweihundertachtzig Millimeter Regenwasser über Moat County niedergehen, den Fluss auf Fluthöhe ansteigen und einige kleine Inseln in den Sümpfen am Westufer untergehen.
    Als das Wasser zurückging, hatte sich das Aussehen einiger Inseln verändert. Uferpartien waren weggebrochen und im Fluss verschwunden, die Wurzeln der Bäume bloßgelegt, und manche Inseln waren ganz verschwunden und mit ihnen ihre kleinen Jagdoder Fischerhütten.
    Ein Angler, der sein Glück an den tiefen Stellen am Westufer suchte, fand ihre Leichen. Sie trieben aufgebläht im Fluss, verborgen hinter einigen Bäumen, die bei dem Sturm umgestürzt waren. Die Strömung hatte sie in eine Art Flusstasche gespült, wo sie sich mit dem übrigen Treibgut hoben und senkten und gegeneinanderstießen, während über ihren Köpfen Libellen schwebten.
    Der Angler warf an den tiefen Stellen seine Angel aus, dann fuhr er zum Bootssteg zurück und rief im Büro des Sheriffs an, und die Leichen wurden geborgen.
    Die eine Leiche war die einer Frau, die anderen die Überreste dreier Männer. Dem Leichenbeschauer des County zufolge waren alle mit Ausnahme der Frau bereits ein Jahr oder länger tot, einer der Männer hatte an tödlichem Leberkrebs gelitten. Die Frau war an unvorstellbar grausamen Stichverletzungen gestorben.
    Man hatte die Leichen innerhalb der Distriktgrenzen von Moat County gefunden, etwa eine Meile weit von dem Haus entfernt, in dem Tyree Van Wetter wohnte, und man nahm an, dass sie von dem kleinen Flurstück stammten, auf dem die Van Wetters seit alters her, jedenfalls seit der Zeit, da sie in dieser Gegend Floridas wohnten, ihre Toten beerdigt hatten.
    Der fortgeschwemmte Teil des Friedhofs hatte dicht am Ufer gelegen und jene Toten freigegeben, die zuletzt gestorben waren. Dem Deputy, der diesen Fall bearbeitete, fiel auf, dass den Van Wetters kaum noch Land blieb, ihre Toten zu begraben. Er schätzte, dass die Fläche – weniger als ein halber Morgen – noch etwa hundertvierzig weitere Gräber enthielt, konnte sie aber nicht zählen, da die meisten Grabstätten ungekennzeichnet oder nur mit einem Ziegelstein markiert waren.
    Einige Grabsteine hatte man zwar aufgestellt, aber die waren aus Allens Bestattungsinstitut in Palatka gestohlen worden und trugen keine Inschriften.
    Charlotte Bless wurde durch ihre Fingerabdrücke identifiziert, zuletzt gemeldet als Postangestellte in New Orleans, wo sie als Briefsortiererin gearbeitet hatte.
    EINE WOCHE SPÄTER wurde Hillary Van Wetter wegen Mordes an Charlotte Bless festgenommen, nachdem ein ungenanntes Mitglied der Familie seinen Aufenthalt an die Staatspolizei verraten hatte, die vom Sheriff hinzugezogen worden war. Man durchkämmte die Hütten entlang des Flusses mit einem Aufgebot an Männern, wie es die Van Wetters nie zuvor erlebt hatten, und man drohte damit, den gesamten Friedhof zu exhumieren.
    So gaben die Van Wetters Hillary zurück an den Staat und durften dafür weiterleben wie bisher.
    ALS ICH IHN AUFSUCHTE , war Ward in seinem Apartment. Er packte die Unterlagen aus Moat County in Kartons und stapelte sie an der Wand.
    Die Eingangstür war offen, und
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