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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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nicht zu kämpfen. In einer ruhigen Nacht ist man einfach Teil des Ozeans.«
    AN DIESEM WOCHENENDE fuhren wir nach Moat County. Um zehn Uhr brachen wir Richtung Norden auf. Wir hatten beide einen Kater und sahen ziemlich schlimm aus. Im Wagen stank es nach verschüttetem Wein. Im einen Moment schlug Regen gegen die Windschutzscheibe, im nächsten verwandelte sich der Regen in Nebel. Einmal, als wir an Fort Lauderdale vorbeikamen, sahen wir kurz die Sonne. Später dann beschlugen die Fenster, und um etwas erkennen zu können, musste ich sie immer wieder mit der Hand freiwischen.
    Ward saß stumm auf dem Beifahrersitz neben mir und gab sich keine Mühe, die Scheibe abzuwischen, als interessierte ihn nicht, was dort draußen war. Er hatte aus seinem Apartment fortgewollt. Helen Drews Geschichte über den Pulitzerpreis war inzwischen tot, wie alle Geschichten irgendwann einmal tot sind – weil es nichts mehr gibt, was sie am Leben hält –, doch für meinen Bruder schien sie längst noch nicht zu Ende.
    Eigentlich wuchs ihre Bedeutung sogar mit jedem Tag, an dem er nichts von World War hörte. »Wenn mir diese Sache nur gerade jetzt nicht so zu schaffen machte«, sagte er.
    »So schlimm, wie du denkst, ist es nicht. Den Leuten in Moat County sind Zeitungen aus Miami und Pulitzerpreise eigentlich ziemlich egal.«
    Er ließ sich nicht trösten. Eine Zeit lang lauschten wir dem Klang der Reifen und dem Regen, und dann stellte ich das Radio an und hörte in den Nachrichten, dass der Hurrikan nach Osten abdrehte und mit einer Windstärke von hundert Meilen die Stunde auf die Keys zuhielt.
    »Wir sollten uns was zu trinken besorgen«, sagte er bald darauf.
    Ich hielt an einem Supermarkt und kaufte ein Sixpack kaltes Bier, das wir auf unserer Fahrt über den HIGHWAY I tranken, und nach einer Weile fühlten wir uns besser. Nachdem wir das Sixpack geleert hatten, hielten wir auf dem Seitenstreifen, traten in den peitschenden Regen und pinkelten gegen die Autoreifen. Wir standen jeder auf einer Wagenseite und sahen uns über die Motorhaube hinweg an. Ward klebte das Haar an der blassen Stirn, und er musste schreien, um sich gegen den Wind verständlich machen zu können.
    »Zu schade«, rief er, »dass die hiervon kein Bild fürs Hochzeitsalbum machen können!«
    Der Regen schien uns reinzuwaschen.
    » VIELLEICHT WIRD ES GAR NICHT SO SCHLIMM «, sagte ich. Wir waren zurück auf der Straße.
    Ward zuckte die Achseln, als wäre es ihm egal. »Wir sollten uns noch mehr Bier besorgen«, sagte er. Es gab kaum Verkehr auf dem Highway, und die wenigen Autos, die unterwegs waren, hatten die Scheinwerfer an, wodurch das Gewitter irgendwie noch schlimmer aussah.
    Wir hielten nach einem Laden Ausschau, aber die, an denen wir vorbeikamen, waren geschlossen. Es wurde dunkler, und der Nachmittag gab uns das Gefühl, als wären wir die einzigen Menschen im Staat, die nicht sicher und geborgen zu Hause saßen.
    DIE HOCHZEIT MEINES VATERS mit Ellen Guthrie fand wie geplant am nächsten Tag statt, trotz Hurrikan »Sylvia«, der nach Westen zum Golf von Mexiko abdrehte und den Staat nur südlich von Bradenton Beach streifte, ehe er sich nordwärts wandte und abflaute.
    Die Zeremonie fand in der Methodistenkirche von Thorn statt, und der Regen trommelte so laut auf das Dach und an die Buntglasscheiben, dass ich kaum ein Wort verstehen konnte. Etwa hundert Gäste saßen in den Reihen hinter mir, die meisten davon waren Freunde meines Vaters. Es sah so aus, als hätte Ellen Guthrie keine Freunde in Moat County.
    Die Frau, die einmal die Chefredakteurin meines Vaters gewesen war, saß da in einem langen weißen Kleid, das ihre stämmigen Beine gnädig bedeckte, resolut und loyal, als vertraue sie auf den Tag, an dem die Ehe enden würde. Mein Vater trug einen hellen Anzug mit weißer Krawatte.
    Ward und ich saßen in der vordersten Reihe, bis auf die Haut durchnässt, und Blitz und Donner rüttelten an den Fenstern. Es regnete so heftig, dass es mich nicht überrascht hätte, wenn das alte Gemäuer davongeschwemmt worden wäre. Die Organistin war nervös, und ihre ausgepolsterten Schultern zuckten bei jedem Windstoß zusammen.
    Ein Mann im Alter meines Vaters führte Ellen Guthrie zum Altar, und etwas in seiner Miene verriet, dass er das Beste aus einer misslichen Situation machte.
    Der Trauzeuge meines Vaters war der ehemalige Herausgeber der
Atlanta Constitution
.
    Alle Gäste der Hochzeitsparty waren nass geworden, Ellen Guthrie ausgenommen, die es
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