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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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zuvor erworben hatte, als er einen Polizisten im Streit um einen über den Boden schleifenden Auspuff mit einem Messer angegriffen und dem Mann den Daumen abgeschnitten hatte. Der Fall kam allerdings nicht vor Gericht. Mit halbem Daumen vermisste der Polizist seine Heimat, und einmal zurück in Texas, wollte er nicht wiederkommen, um eine Aussage zu machen.
    So fielen, sieben Tage nachdem man Sheriff Call auf der Landstraße gefunden hatte, im dicht bewachsenen Sumpfland nördlich von Lately die Deputies über Hillary Van Wetters Holzhaus her, töteten mehrere Hunde und fanden im Spülbecken in der Küche ein blutiges Messer. Im Waschtrog entdeckten sie ein blutgetränktes Hemd, und Hillary Van Wetter, der beim Eintreffen der Deputies betrunken und zufrieden in der Badewanne lag, wurde wegen Mordes verhaftet. Innerhalb von fünf Monaten erhob man Anklage, brachte ihn vors Landgericht und verurteilte ihn zum Tod im »Old Sparky«, Floridas Staatsgefängnis in Starke. Und das, obwohl der teuerste Anwalt von Moat County seine Verteidigung übernommen hatte.
    Kein Mensch wusste, woher das Geld für den Anwalt kam.
    Die Zeitung meines Vaters berichtete natürlich über den Prozess und das Berufungsverfahren – in jenem Herbst sah man in Moat County Berichterstatter von Landeszeitungen aller Größenordnungen, ebenso Reporter aus Städten wie Atlanta, Mobile, New York und New Orleans –, doch obwohl die
Tribune
, solang sie meinem Vater gehörte, bei Gerichtsurteilen stets gegen die Todesstrafe argumentiert hatte, machte die Zeitung wenig Aufhebens um Hillary Van Wetter.
    »Meine Haltung ist allgemein bekannt.« Das war alles, was mein Vater dazu sagte. Und er hatte recht. Seit er in Nordflorida wohnte, seit 1965 also, hatte er der öffentlichen Meinung getrotzt – die
Tribune
war die einzige liberale Zeitung in den ländlicheren Teilen des Staates–, doch führte er sein Blatt mit einem Augenzwinkern. Die Zeitung war liberal, wenn auch auf eine hoffnungslose und harmlose Art, die keinem Menschen wehtun wollte. Eine Einstellung, die es nicht zuließ, dass sie Gnade für den Mörder von Thurmond Call forderte.
    VIER JAHRE SPÄTER verlor ich an einem kalten Wintermorgen zu Beginn des Jahres 1969 – in eben jenem Jahr, in dem sich mein Bruder als Journalist auszeichnen sollte – mein Schwimmstipendium an der University of Florida. Einige Wochen darauf wurde ich wegen Vandalismus exmatrikuliert.
    Genauer gesagt, ich trank eine kleine Flasche Wodka leer und ließ das Wasser aus dem Schwimmbecken ab, ein kindischer Streich, wenn auch weit komplizierter, als es für Außenstehende den Anschein haben mag. Ich will jetzt nicht in Einzelheiten gehen, kann aber versichern, dass man nicht nur den Stöpsel ziehen muss.
    Beschämt kehrte ich nach Hause zurück und begann, für die Zeitung meines Vaters, die
Moat County Tribune
, zu arbeiten. Ich fuhr Lieferwagen.
    Mein Vater hat mich nie gefragt, was in Gainesville passiert war und ob ich jemals an die Universität zurückwollte. Aber er machte deutlich, dass er mich Lieferwagen fahren lassen würde, bis ich einsah, dass dies in meinem Leben die einzige Alternative zur Hochschulausbildung war.
    Er selbst hatte keine akademische Ausbildung genossen und redete oft darüber, als hätte er etwas verloren. »Himmel, ich hätte verdammt gern Literatur studiert«, sagte er dann, als bräuchte er die Erlaubnis von einem College, um Bücher zu lesen.
    In jenem Winter und Frühjahr fuhr ich für die
Tribune
die Nordroute, dreihundertfünfundzwanzig Meilen über enge, randlose, zweispurige Straßen im nördlichen Moat County. Ich belud den Lieferwagen bei Dunkelheit und fuhr gegen drei Uhr dreißig früh am Ortsschild von Thorn vorbei.
    Falls der Laster keine Panne hatte und die Druckerei pünktlich war, passierte ich jeden Morgen um neun Uhr die Lichtung, auf der man Sheriff Calls Wagen gefunden hatte. Die Stelle war von der Straße aus nur teilweise einsehbar – ein verdorrter, baumloser Flecken in einem Kiefernwald, mit einem Picknicktisch und zwei Toilettenhäuschen, höchstens zehn Meter voneinander entfernt, das Häuschen für die Männer auf der östlichen, das für die Frauen auf der westlichen Seite. Eine Gedenktafel markierte den Ort, an der einst die erste Schule des Staates gestanden hatte, und auf einem handgemalten Schild an einem der Aborte sah man eine Flagge der Konföderierten und einen abgetrennten Arm mit Hand. Über dieser Zeichnung stand: MOAT COUNTY HEISST ALLE
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