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Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)

Titel: Der einsame Radler: Auf dem Weg von Bremen zum Bodensee (German Edition)
Autoren: Günter W. Hohenester
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Motiv und Vorbereitung
    Es gibt viele Ursachen und Gründe für eine lange, einsame Radtour. Einige finden sich im Inneren eines Menschen, andere wirken von außen auf ihn ein.
    Die äußere Ursache, die mich im Grunde dazu bewegte mein Glück auf dem Sattel eines Fahrrads zu suchen, war eine ungewöhnliche, beinahe tragische. Es ging dabei um einen Tod, oder genau genommen, um Siechtum und Sterben. Nicht das Sterben eines mir nahe stehenden Menschen oder das Verenden eines geliebten Tieres traf mich, - nein, es war das Sterben einer Branche.
    Wenn eine ganze Branche stirbt, so ist das ein Sterben wie bei einem alten Menschen, der nicht mehr gebraucht wird. Auf Depression folgen langes Siechtum, Auszehrung und ein langsamer, aber unaufhaltsam näher rückender Tod.
    Wer von den Einnahmen eines Geschäft in einer solchen Branche leben muss, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er steigt aus, oder er kämpft auf verlorenem Posten weiter, solange er noch auf eine Überlebenschance hofft.
    Mein Laden in Bremen gehörte zu einer solchen Branche. Ich stieg nicht aus - ich kämpfte.
    Während der Depression entließ ich mein Personal.
    Während des Siechtums der Branche betrieb ich mein Geschäft allein.
    Wer ein solches Geschäft allein betreibt, wird von seinen Pflichten in Haft genommen. Er sperrt morgens die Ladentüre auf, bedient bis mittags Kunden, schließt für eine halbe Stunde, holt sich eine Kleinigkeit zum Essen, erledigt schnell die notwendigen Bankgeschäfte, eilt zurück und arbeitet weiter bis zum Feierabend. Auch am Samstag. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Das geht so ein Jahrzehnt lang oder länger ohne dass je an Urlaub zu denken ist.
    Als der Tod der Branche sich endgültig abzeichnete, immer mehr meiner Lieferanten in Konkurs gingen, die Stadt zwei Jahre lang die Straße vor meiner Ladentüre in eine Baustelle verwandelte, musste ich meinen aussichtslosen Kampf aufgeben, wenn ich mich nicht für alle Ewigkeit verschulden wollte. Im Februar war es so weit. Ich warf das Handtuch. Ich schloss meinen Laden für immer.
    Damit war ich dieser freiwilligen Gefangenschaft, wider Willen entkommen. Die Zeit dieser Art Einzelhaft mit Heimschläferoption war beendet. Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren hatte ich tagsüber für private Dinge Zeit. Geld war mir nicht viel geblieben. Aber ich hatte Zeit!
    Der Sommer verfrühte sich. Er kam schon im April.
    Und ich hatte Zeit!
    Auch wochentags. Ich konnte die Sonne genießen, konnte mich einem halb vergessenen Hobby widmen: Konnte mich aufs Rad setzen, konnte hinausfahren, die Umgebung erkunden, Radwanderwege testen. Es war herrlich. Mein Leben gewann einen Hauch von Freiheit. Aber es war nicht die volle Freiheit. Denn abends musste ich umkehren, musste zurück nach Hause, war wieder Heimschläfer, wie in all den Jahren zuvor. Zuerst störte es mich nicht. Es war ja auch selbstverständlich. Dann aber an einem dieser strahlenden Sommertage im April, an dem die Sonne vom wolkenlos blauen Himmel brannte, irgendwo auf dem Radweg neben einer Landstraße in Richtung Wildeshausen, stellte ich mir vor, wie es wäre nicht umzukehren, nicht zurückzufahren, sondern den Weg fortzusetzen, weiter und weiter zu radeln, mich von meinen Gewohnheiten, dem Alltag, der langweiligen Routine zu lösen, mich davon freizumachen - frei zu sein.
    Der Gedanke war faszinierend. Er ließ mich nicht mehr los. Ich entschloss mich, einen Versuch zu wagen.
    Leider muss die Freiheit in einem sozial geordneten Leben geplant werden, darf, wie die Liebe in einem solchen Leben, nicht ziellos sein, darf Grenzenlosigkeit nur ahnen lassen, muss aber Grenzen wahren.
    Also bemühte ich mich um ein äußeres Ziel - ein Ziel, das weit genug entfernt lag, um Freiheit zu symbolisieren und nah genug um in begrenzter Zeit, also im Lauf eines Sommers erradelt zu werden.
    Ich wählte den Bodensee. Auch deshalb, weil ich schon als Kind den Wunsch hatte, einmal die Pfahlbauten bei Unteruhldingen zu sehen. In den vielen Jahren als Autofahrer war ich oft dort vorbeigekommen, nur leider nie dort hin. Dabei hatten die Steinzeit und der Alltag unserer frühen Vorfahren mich immer schon interessiert.
    Aber zunächst musste eine Ausrüstung her. An meinem guten alten Kettler-Rad war das Bremsseil gerissen, und wie es aussah, würde ein Überholen genau so viel kosten, wie ein neues Rad vom Sonderposten. Das fand sich dann auch zu einem moderaten Preis, ausgestattet mit 24 Gängen,
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