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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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nicht einmal gewusst, dass er Alkohol trank. Als Kinder hatten wir manchmal vor dem Schlafengehen in der Küche gehockt und Cornflakes gegessen, während mein Vater mit seinen Reportern im Nachbarzimmer saß – wir durften sie nicht stören –, und hatten zugehört, wie die Stimmen auf der anderen Seite der Tür immer lauter und schriller wurden, bis jedes Wort von einem anderen Wort überschrien wurde und das Gelächter so hart und vulgär klang, als lägen nebenan die Leichen der Opfer.
    Um Eiswürfel zu holen, öffnete mein Vater hin und wieder die Tür, riss sie aber, je später es wurde und je mehr Wein er getrunken hatte, immer weiter auf, bis sie schließlich krachend an die Wand flog, sein rot angelaufenes Gesicht schweißnass war und der Zigarettenrauch an ihm vorbei in die Küche drang. Und nachdem er uns das Haar zerzaust und das Eis geholt hatte, verschwand er durch die Tür wieder in die dahinterliegende Rauchwand, während Ward sich langsam das Haar glättete und den Kopf auf eine Weise schüttelte, die mir Missbilligung auszudrücken schien.
    Ich hatte nie daran geglaubt, dass er gern dabei gewesen wäre.
    Man hatte ihn um halb fünf morgens, einem Sonntagmorgen, in der Alligator Alley an den Straßenrand gewinkt, weil er mit hundertsechzig Sachen durch die Everglades gerast war.
    Der Polizist näherte sich dem Wagen von hinten, in der Hand eine Taschenlampe. Er beugte sich durch das offene Fenster, bewegte den kleinen Lichtkreis hierhin und dorthin, ließ ihn auf die Flasche zwischen den Knien meines Bruders fallen, danach auf die Bierkiste auf dem Rücksitz, schließlich ins Gesicht meines Bruders und dann in das des Beifahrers.
    »Haben Sie getrunken, Sir?« fragte der Polizist.
    Ward drehte sich langsam um und sah den Mann an, der neben ihm saß. Der Mann lachte.
    Der Polizist bat Ward auszusteigen, wobei er ihn wieder mit »Sir« anredete. Ward stieß die Tür auf und glitt aus dem Auto, die Flasche in der Hand. Er nahm noch rasch einen Schluck, ehe er sie abgab. Der Polizist ging zurück ins Scheinwerferlicht des Streifenwagens und stellte sie auf die Heckklappe.
    »Dürfte ich bitte Ihren Führerschein sehen, Sir?« fragte der Polizist, und mein Bruder zog seine Brieftasche verkehrt herum aus der Hosentasche, sodass der Streifen mit den Kreditkarten aufklappte, und als er die Brieftasche öffnen wollte, verstreute er Karten und Geld über den Gehweg und das nasse Gras am Straßenrand.
    Er taumelte ins Gras, dann in den dahinterliegenden Sumpf, suchte Führerschein und Geld und fiel dabei in den Schlamm. Der Polizist achtete nicht weiter auf die Geräusche, die Ward im Sumpf von sich gab, besah sich den Führerschein, den er vom Boden aufgehoben hatte, und richtete die Lampe auf das eine oder andere Detail.
    Eine Minute verstrich, ehe mein Bruder schlammbedeckt wieder im Scheinwerferlicht des Streifenwagens auftauchte.
    »Mr. James«, sagte der Polizist und las den Namen vom Führerschein ab, »Sie sind verhaftet.«
    Und mein Bruder, der, soweit ich weiß, in seinem Leben noch nie einen anderen Menschen um etwas gebeten hatte, das ihm nicht gehörte, stand am Straßenrand, schwankte und sagte: »Sir, es würde mich stolz machen, wenn ich Ihren Hut tragen dürfte.«
    DER ANDERE MANN im Wagen meines Bruders in jener Nacht war ebenfalls Reporter bei der
Miami Times
. Er hieß Yardley Acheman und war für die Journalisten und Redakteure, die mit den beiden in der Nachrichtenredaktion arbeiteten, der genaue Gegensatz von meinem Bruder. Und umgekehrt.
    Genaue Gegensätze
.
    Manche Redakteure der
Times
waren der Meinung, die Unterschiede zwischen den beiden hätten zu ihrem Erfolg beigetragen, denn kluge Personalentscheidungen berücksichtigten, dass Gegensätze oft eine gewisse Anziehung aufeinander ausübten – und dieser Gedanke der gegenseitigen Anziehung gefiel ihnen, den Redakteuren, der Gedanke an Magie. Die
Miami Times
war schlau genug, diese Anziehung auszunutzen, was ein Ermittlungsteam von solch herausragender Qualität schuf, wie es die einzelnen Ingredienzien nicht hätten vermuten lassen.
    Ein ideales Paar, hieß es.
Genaue Gegensätze
.
    Und vielleicht hatten sie recht, obwohl mir nicht einleuchten will, wie Menschen gegensätzlich sein können, ob nun genau oder nicht – denn was ist schließlich das Gegenteil von eins achtzig? Oder davon, in der neunten Klasse das Periodensystem auswendig gelernt und es nie wieder vergessen zu haben? Oder von Schweißfüßen?
    Trotzdem sind die
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