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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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Material für die Story zu sammeln, wurde Ward von Mitgliedern der Burschenschaft bedroht und dann eines Abends vor ihrem Haus überfallen und zusammengeschlagen. Er konnte keinen der Burschenschaftler erkennen. Als sie von ihm abließen, fuhr er ins Krankenhaus, ließ sich eine Wunde am Augenlid mit fünfzehn Stichen nähen und stand noch am selben Abend wieder vor ihrer Tür.
    Danach stach man ihm die Reifen durch, und sein Telefon klingelte zu jeder Nachtstunde, nur meldete sich niemand am anderen Ende der Leitung, wenn mein Bruder abhob.
    Aber jeden Morgen war er wieder da und trieb sich wie der leibhaftige Tod vor dem Haus der Burschenschaft herum. Telefonanrufe, Prügeleien und zerstochene Reifen – damit machte man meinem Bruder keine Angst.
    DER ANWALT DER BURSCHENSCHAFT hatte seine Klienten nach dem Tod des jungen Mannes vor einem Gerichtsverfahren bewahren können und erwirkte nun einen Gerichtsbescheid, der es Ward und allen Angestellten der
Miami Times
untersagte, sich dem Haus auf mehr als hundert Meter zu nähern.
    Ward hielt sich an diesen Bescheid, zog im Geist in hundert Metern Abstand einen Kreis um das Haus, wartete zwei Tage die Woche außerhalb dieser Bannmeile und erinnerte die Burschenschaftler bei Betreten oder Verlassen ihres Hauses daran, dass er noch da war.
    An anderen Tagen wartete er vor ihren Seminarräumen in der Universität. Er rief sie in der Burschenschaft an und schrieb ihnen Briefe, sowohl nach Hause als auch in die Universität. Der Anwalt erwirkte einen weiteren Gerichtsbescheid, der meinem Bruder weitere Anrufe und Briefe untersagte.
    Doch es war schon zu spät, mein Bruder hatte einen Antwortbrief erhalten. Der Absender war ein breitschultriger, langhaariger Footballspieler namens Kent de Ponce, der sich mit Ward im Haus seiner Eltern in Coral Gables traf und ihm gestattete, ein Tonband auf den Tisch zwischen ihnen zu stellen und das Gespräch mitzuschneiden. Ich habe diese Aufnahme so oft abgespielt, dass ich die Stimmen manchmal aus dem Summen der Reifen auf der Landstraße herauszuhören glaube.
    Der Footballspieler sitzt so nah am Gerät, dass man seinen Atem hören kann. Er trinkt Bier und entschuldigt sich immer wieder – dafür, dass er nicht früher mit Ward gesprochen hat, dass er mitgeholfen hat, Ward zu verprügeln, dass er zu viel Bier trinkt, dass er Ward kein Bier angeboten hat, dass er am Beckenrand des Whirlpools gestanden und zugesehen hat, wie der Junge, der nur ein oder zwei Jahre jünger als er selbst gewesen war, kopfüber im Wasser hing und um sich schlug, bis er sich nicht mehr rührte und sein Körper doppelt so schwer zu sein schien wie in jenem Augenblick kurz zuvor, als man ihn ins Wasser getaucht hatte.
    Er entschuldigt sich, als läge es in Wards Macht, ihm zu vergeben.
    Er weint beim Reden und entschuldigt sich dafür.
    Die Brüder, sagt er – so nennt er die Mitglieder der Burschenschaft, seine »Brüder« –, waren betrunken und hatten jedes Zeitgefühl verloren, als sie den »Fuchs« ins Wasser hielten. Sie dachten, seine Bewusstlosigkeit wäre gespielt. Er denkt laut darüber nach, ob er sein Stipendium verliert. Die Nase des Footballspielers trieft, und er schnieft, hin und wieder gibt er heftige Schnaubgeräusche von sich, und einmal tropft ihm Speichel von den Lippen auf das Tonband. Er lacht und will sich im selben Augenblick dafür entschuldigen. »Herrje, tut mir leid, Mann …«
    »Ehrlich, Mann«, sagt er später und ändert kurz vor dem Ende des Gesprächs noch einmal seine Meinung. »Ich weiß nicht, ob ich dir das wirklich erzählen sollte …« Es folgt eine Pause, in der er begreift, dass er bereits alles gesagt hat.
    Als er weiterspricht, klingt es, als wolle er Ward testen. »Jetzt könnte ich nur noch eins tun«, sagt er, »ich könnte dir den Hals brechen und behaupten, ich hätte dich für einen Einbrecher gehalten.«
    Das Band bleibt danach ziemlich lange stumm, und dann sagt der Footballspieler: »Tut mir leid, Mann, ich weiß nicht mehr, was ich rede.«
    Wenn ich diese lange Pause höre – denn sooft ich die Aufnahme abspiele, ich warte immer noch gebannt auf die Worte, die dieses Schweigen durchbrechen –, denke ich an meinen Bruder, der in dem Wohnzimmer in Coral Gables an der Seite dieses Footballspielers sitzt und mit einer Gewalttat rechnen muss, und ich frage mich, ob sie ihn faszinieren, diese seltsamen, gleichsam kinetischen Augenblicke, in denen sich derartige Dinge entscheiden.
    Ob sie den Kern der
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