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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
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abgedunkelten Passagierraum jene Leichenteile vor sich, die noch in den Sitzen festgeschnallt waren.
    Obwohl sorgsame Leser feststellen konnten, dass die Wiedergabe vom Gesehenen und Gehörten eine persönliche Note trug, die auf anderes als das Unglück anspielte, waren die Details doch derart überwältigend, dass sie diesen Eindruck vergessen machten.
    WIE YARDLEY ACHEMAN kümmerte sich mein Bruder nicht um das Gerede in der Nachrichtenredaktion.
    Selbst nach dem Erfolg mit der Story über den Flugzeugabsturz nahm Ward nicht die Angewohnheiten der anderen Reporter an. Er hielt seinen Schreibtisch sauber und überprüfte zwanghaft jedes Detail. Er arbeitete stundenlang nach Feierabend und füllte nie einen Antrag auf Vergütung der Überstunden aus.
    All dies wurde von jenen Journalisten, die es bemerkten, falsch verstanden und missbilligt, da sie nicht wussten, dass mein Bruder keinen Menschen um etwas bitten konnte, es sei denn, er war hinter einer Story her.
    In der Nachrichtenredaktion nahm man an, dass Ward seinen Job durch den Einfluss seines Vaters erhalten hatte. Ob das stimmt, weiß ich nicht – für gewöhnlich schieben sich Herausgeber und Redakteure gegenseitig eine Stelle für ihre Kinder zu, und ich kann nicht sagen, ob mein Vater trotz all seines moralischen Gehabes tatsächlich über derlei erhaben war. Nur bin ich mir sicher, dass Ward nichts davon ahnte. Einer so peinlichen Situation wäre er aus dem Weg gegangen.
    Niemand hatte größere Angst vor peinlichen Situationen.
    Trotzdem stieg Wards Ansehen durch die Artikel über das Wrack von Flug 119, da die anderen Journalisten ehrlicherweise zugaben, dass er etwas getan hatte, was sie vermutlich nicht getan hätten: ein abgestürztes Flugzeug, durch das noch der Strom summte, das noch warm von der Aufprallreibung und voll mit Treibstoff war – wer wäre da schon durch das Loch, dort, wo sich einmal das Heck befand, in die Maschine gestiegen und im Dunkeln durch den gesamten Passagierraum gewandert? Aber Ward wehrte alle Komplimente ab und wusste nichts zu sagen, als die Kollegen am nächsten Morgen an seinen Schreibtisch kamen, um ihn zu beglückwünschen.
    Er konnte nichts geben und konnte nichts nehmen, es sei denn, er sammelte Material für eine Story.
    Eine Story besaß für meinen Bruder ihre eigene Autorität, und mithilfe dieser Autorität konnte er sogar vertrauliche Themen angehen, denen er sich aus eigenem Antrieb niemals genähert hätte.
    EINE WOCHE nach Veröffentlichung der Absturzgeschichte auf der Titelseite der
Miami Times
wurden Ward und Yardley Acheman in ein Büro gerufen, in dem vier Redakteure in weißen Hemden um einen langen Tisch saßen, Zigaretten der Marke Camel rauchten und Tabakkrümel von ihren Zungenspitzen klaubten.
    Nach einigen Augenblicken zwangloser Unterhaltung – eine Kunst, die Yardley Acheman ebenso gut beherrschte wie die Redakteure, mein Bruder aber lästig fand – verkündete der rangniedrigste Redakteur ihre Beförderung: Yardley Acheman und mein Bruder wurden von ihren Pflichten in der Lokalredaktion entbunden und sollten in Zukunft als Team arbeiten.
    Es ist ein grundlegendes Prinzip einer funktionierenden Zeitung, dass sämtliche Entscheidungen, vor allem personelle Entscheidungen, von der jeweils nächsthöheren Instanz übermittelt werden. Diesem Grundsatz zufolge würde der Chefredakteur einem Lokalredakteur niemals sagen, wie er seine Reporter einzusetzen habe.
    Gäbe es dieses Prinzip nicht, würden die Journalisten, die sich instinktiv immer an die höchste Autorität wenden, den Chefredakteur und nicht den Lokalredakteur aufsuchen, um sich darüber zu beschweren, dass die Aufträge ihrer wahren Begabung nicht entsprechen oder ihre Artikel verhunzt werden. Und auf der Liste jener hundert Gründe, die belegen, warum es besser ist, Chefredakteur als Lokalredakteur zu sein, steht das Vermeiden von Diskussionen über vermeintlich verhunzte Texte ganz oben.
    ICH FUHR DIE NORDROUTE noch keine zwei Monate, als Flug 119 in den Everglades abstürzte. Sieben Wochen später erschien der nächste Artikel von Ward und Yardley Acheman: ein sorgfältig recherchierter Bericht über die Schikanen einer Burschenschaft an der University of Miami, die mit dem Tod eines jungen Mannes durch Ertrinken in einem Whirlpool endeten.
    So wie an der Absturzstelle ging Ward den Dingen auf den Grund, während Yardley Acheman die nötige Distanz wahrte, um den Überblick zu behalten.
    In den Wochen, die er brauchte, um das
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