Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy
Autoren: Pete Dexter
Vom Netzwerk:
stattlicher Mann, doch gegen Ende seines Lebens bedeutete ihm jede Bewegung eine große Last. Er liebte seine Arbeit nicht mehr so, wie er sie einmal geliebt hatte.
    1969 hatte er die Leitung der Nachrichtenredaktion seiner Chefredakteurin, einer unansehnlichen, energischen jungen Frau mit muskulösen Beinen und peinlichem, unbestimmtem Ehrgeiz überlassen, um seine Zeit in der Werbeabteilung und mit der Vorbereitung von Reden zu verbringen, die er in diversen Journalistenvereinigungen des Landes hielt.
    Ich weiß noch, dass ich mich gefragt habe, ob er seiner Chefredakteurin in der Mittagspause an die Wäsche ging und ob sie mit diesen mächtigen Beinen alle Energie aus ihm herauspumpte.
    SOLANGE ICH MICH ERINNERN KANN , fuhr mein Vater einen schwarzen Chrysler – eine Angewohnheit, die aus bescheideneren Zeiten stammte, als ein Chrysler noch ein besseres Auto als ein Pontiac und Oldsmobile war, fast ebenso gut wie ein Buick und kaum schlechter als ein Cadillac. Ein anständiges Auto eben, aber nicht zu auffällig. Er wollte nicht, dass seine Anzeigenkunden auf den Gedanken kamen, er könnte zu viel Geld verdienen.
    Abendessen gab es um halb sieben und wurde von einer jungen Schwarzen serviert, die es auch zubereitet hatte. Sie kochte, wusch, hielt das Haus sauber und richtete nur selten das Wort an uns, ohne zuvor angesprochen worden zu sein. Dadurch unterschied sie sich von vielen Hausmädchen jener Zeit, die sich bei ihren Arbeitgebern einschmeicheln wollten. Sie war eine kluge Frau, und die Situation sprach für sich.
    Sie hieß Anita Chester, und mir schien, sie und die Chefredakteurin hätten besser ihre Positionen getauscht.
    Nach dem Essen half ich, das Geschirr abzuräumen, und mein Vater dankte dem Dienstmädchen, an dessen Namen er sich nie erinnern konnte, schlich durch das große, leere Haus wie ein alter Geist, blieb lang im Bad, ging dann ins Schlafzimmer, wo er sich Jackett, Schlips und Schuhe auszog und einen Bademantel über das Hemd streifte, machte es sich schließlich mit einem Glas Wein in seinem Lieblingssessel im Arbeitszimmer bequem und lehnte den Kopf zurück, bis er genau jene Stelle berührte, wo sein mit Birkenöl getränktes Haar den Bezug schon vor langer Zeit dunkel gefärbt hatte.
    Dann schloss er einen Moment die Augen, öffnete sie wieder, nippte an seinem Glas, griff nach den mitgebrachten Zeitungen und ließ sie in seinem Schoß liegen, während er nach der Brille suchte und die Lampe anmachte.
Atlanta Constitution, Orlando Sentinel, St. Petersburg Times, Daytona Beach News-Journal
und
Miami Times
. Ein halbes Dutzend kleiner Zeitungen aus dem ganzen Land. Er las sie nicht, er inspizierte sie vielmehr und sah nach, was auf ihren Titelseiten, aber nicht auf der Titelseite seiner Zeitung stand. Vielleicht war es auch umgekehrt.
    Im Grunde ging es in diesem Geschäft um Rivalität, war es ein Wettlauf darum, wer die schlechtesten Nachrichten zuerst brachte, und wenn es keine schlechten Nachrichten gab – es gab natürlich immer welche, aber ich rede jetzt von wirklichen Katastrophen –, dann suchte sich der Wettstreit ein neues Ziel.
    Mein Vater starrte lange auf das
News-Journal
, blickte auf, lächelte und reichte mir die Zeitung. »Und so was nennen die journalistischen Spürsinn«, sagte er.
    Als wäre ich Mitbesitzer der Zeitung und müsste deshalb eine Meinung darüber haben, was auf die obere Hälfte der Titelseite gehörte. Als wäre ich derjenige, der seine Zeitung übernehmen würde, wenn mein Vater glaubte, guten Gewissens abtreten zu können.
    Vor der
Atlanta Constitution
hatte er größeren Respekt, da er früher einmal unter ihrem berühmten Herausgeber Ralph McGill gearbeitet hatte. Er erzählte seine Geschichten über Ralph McGill in einem gutmütigen, aber ehrerbietigen Ton, als wäre Mr. McGill im nächsten Zimmer und würde ihm zuhören. Die Geschichten drehten sich immer um seine Tollkühnheit, die sich stets nur auf den Tasten einer Schreibmaschine gezeigt hatte, aber auch um seine zielstrebigen Bemühungen für eine Verbesserung der Lage im Süden.
    Schon lange vor 1969 war mir allerdings der Gedanke gekommen, dass hinter der Bewunderung meines Vaters für Ralph McGill noch etwas anderes steckte.
    Ralph McGill war berühmt.
    Ich war mein Leben lang von Journalisten umgeben; mein Vater war früher selbst einer gewesen und brachte seine Lieblingsreporter oft auf einen Cocktail mit nach Hause, und ich begriff sehr bald, dass sie ein Hunger antrieb, der mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher