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Hilflos in deinen Armen

Hilflos in deinen Armen

Titel: Hilflos in deinen Armen
Autoren: MARGARET MOORE
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1. KAPITEL
    England, 1205
    Die Eisenringe des Kettenhemds klirrten, als Sir Bayard de Boisbaston den Arm hob und seine Männer anhalten ließ.
    „Nun, Frederic?“, fragte er seinen jungen Knappen und wies dabei über das bewaldete Tal hinweg. „Was hältst du von Averette Castle?“
    Blinzelnd blickte Frederic de Sere hinüber zu der aus grauem Stein erbauten Feste, die sich jenseits des Tals auf einer sanften Hügelkuppe erhob. „Klein, hm?“, fragte er zurück und wand sich dabei unschlüssig im Sattel.
    „Von unserer Warte aus gesehen könnte man das meinen“, bestätigte Bayard. „Aber Kastelle sind nicht unbedingt immer ringförmig angelegt. Torhaus und Türme drüben an der Landstraße liegen eventuell auf der Schmalseite.“
    Er zeigte auf die Bastionen, die das Haupttor flankierten. „Bogenschützen haben freies Schussfeld auf Fallgatter und Zugbrücke. Außerdem können sie aus günstigen Winkeln auf jeden anlegen, der dem Tor zu nahe kommt.“
    Zudem hatte er bemerkt, dass man die Bäume und Büsche, die sonst bis dicht an die Landstraße heranreichten, abgeholzt oder gestutzt hatte. Zwischen Fahrweg und Wald erstreckte sich nun ein an beiden Seiten mindestens zehn Fuß breiter, farnüberwucherter Streifen. So blieb Reisenden bei Überfällen durch Feinde oder Wegelagerer noch Zeit, das Schwert zu ziehen und sich zu verteidigen.
    Frederic schob sich eine hellbraune Locke aus der Stirn. „Ah, kapiert, Mylord.“
    „Auf nach Averette!“, befahl Bayard, indem er sein Pferd mit einem Schenkeldruck in Schritt fallen ließ.
    Man mochte dem verblichenen Burgherrn zu Averette, dem Vernehmen nach ein furchtbarer Grobian, noch so viel nachsagen, aber eines musste man ihm lassen: Zumindest in der Verteidigungstaktik hatte er einiges Geschick bewiesen. Das fiel Bayard sofort auf, als er jetzt mit seinen Männern schweigend am Fluss entlang in Richtung auf ein offenbar blühendes Dorf ritt, vorbei am Weiher und der Mühle mit dem sich stetig und gemächlich drehenden Rad. Rinder muhten auf einem benachbarten Feld; ein paar Schafe stoben erschrocken auseinander, als der Reitertrupp an ihrer Weide vorbeikam, und von den Hofstätten entlang der Straße ertönte Gänsegeschnatter und das Gackern von Hühnern.
    Der Weiler an sich war nicht sonderlich groß, doch die Katen wirkten gepflegt und die Dörfler wohlgenährt. Eine Horde Kinder mit kläffenden Straßenkötern auf den Fersen stürmte aus einer Gasse zwischen einem Kerzenmacher und einer Schänke, deren Aushängeschild ein Hirschkopf zierte. Mit offenen Mündern staunte die Rasselbande die vorbeiziehenden Ritter an. In der Schänkentür stand ein vollbusiges Weibsbild, das Bayard und seine Mannen mit berechnendem Blick beäugte. Falls das Frauenzimmer jedoch von trinkfreudiger Kundschaft ausging, war es gewaltig auf dem Holzweg.
    Als der Trupp den Dorfanger passierte, hielt alles ringsum mitten im Tun und Treiben inne und starrte den Reitern hinterdrein. An den Verkaufsständen unterbrachen Krämer und Kunden ihr Gefeilsche. Das Grüppchen alter Männer unter der riesigen Eiche bei der Schmiede, aus der selbst an diesem Sommertag die Rauchschwaden quollen, hörte auf zu palavern, und den Frauen und Mädchen beim Brunnen verging das Schwatzen.
    Eins stand für Bayard fest: Kaum dass er außer Hörweite war, würde man sich wie üblich das Maul über ihn zerreißen – über seine Gestalt, seine Haltung, über die Narbe, die sich vom rechten Auge hinunter zum Kinn zog. Man würde spekulieren, wo, wie und durch wen er die wohl abbekommen hatte. Manche meinten wahrscheinlich, die Schmarre verschandele sein Gesicht; andere wiederum fanden, sie verleihe ihm ein gewisses Etwas.
    Das Gerede kannte er bis zum Überdruss.
    Über kurz oder lang würde dem einen oder anderen einfallen, dass er von dem berühmt-berüchtigten Sir Bayard de Boisbaston schon mal gehört hatte. Auch an den Spitznamen, den er sich bei seiner Ankunft am Hofe eingehandelt hatte, würde man sich erinnern. Ein sechzehnjähriger Jungspund war er damals gewesen, verhätschelt und eitel und fest entschlossen, sich einen Namen zu machen.
    Das war ihm weiß Gott gelungen.
    Verstohlen musterte er den fünfzehnjährigen Frederic, der nun hoheitsvoll zu Ross saß, die Augen stur geradeaus gerichtet, als merke er überhaupt nichts von den bewundernden Blicken, mit denen die holde Weiblichkeit die vorbeiziehenden Ritter bedachte.
    Dabei genoss der Junge diese Aufmerksamkeit zweifellos in vollen Zügen.
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