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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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ausgerechnet jetzt ein Neuanfang, wo
eigentlich gar keiner hingehörte? Wir fühlten uns hier in Köln pudelwohl.
Vielleicht schon etwas zu wohl. Wenn überhaupt hatten wir uns unmerklich in
einen zarten statischen Kokon begeben. Die nicht zu unterschätzende
Lebensqualität dieser Stadt, unsere Maisonnette-Wohnung, der stattliche, wenn
auch größtenteils kinderlose Freundeskreis, die kinderverrückten Großeltern in
Schlagdistanz, das fertige, gut laufende Tonstudio, mit dem ich mir einen
langgehegten Traum erfüllt hatte, und last but not least unsere (total
anstrengenden) einjährigen Zwillingsmädchen. Gleich mehrere starke Argumente,
bestehende Netzwerke zu nutzen und Perspektiven zu schaffen. Neudeutsch: Homing.
Alles war geregelt und gerichtet, um sich darin zu aalen und nimmermehr
aufzustehen. Damit hatten wir vermutlich genau das, wofür andere sich teeren und
federn ließen.
    Und jetzt? Noch mal bei null anfangen? Und das
alles ausgerechnet im siebzehnten Bundesland, auf der Putzfraueninsel?
    Andererseits hatte Lucia mich bisher bei allen
Entscheidungen, die ich für mich getroffen hatte, anstandslos unterstützt.
Selbst als ich plötzlich meinen gutbezahlten Manager-Job für ein ungewisses
Dasein als Musiker hingeworfen hatte. Es wäre also an der Zeit, sich mal zu
revanchieren.
    Meine Frau hatte zwar einen spanischen Pass, war
aber in Deutschland aufgewachsen und immer nur in den Schulferien mit ihren
Eltern an die spanische Nordküste gefahren. Zwei Identitäten. Lucia hatte das
Organisationstalent und die Selbstironie einer deutschen Frau und zugleich ein
übermäßiges Ehrgefühl und eine manchmal geradezu abartige Gelassenheit, die nur
mit der spanischen Sonne und den endlosen Kornfeldern Kastiliens zu tun haben
konnte. Sie war deutsch genug, um alles Deutsche an mir nachvollziehen zu
können, und spanisch genug, um es oft unbesehen gutzuheißen. An der Grenze zum
südlichen Gleichmut sozusagen. Als Deutscher erwartete ich, dass sie meine Art
zu denken verstand, war aber durch meine längeren Aufenthalte in Barcelona
inzwischen so hispanisiert, dass es mir öfter egal war, wenn es ihr mal egal
war. Diese Konstellation funktionierte.
    Lucia zeigte sich zudem äußerst wandelbar. Als
hippe und luftige Städterin, die in den angesagtesten Läden verkehrte, und stets
mit riesigem Freundeskreis unterwegs, mutierte sie im Handumdrehen zur mama de casa , sobald irgendwer zu Besuch kam. Dann
krempelte sie die Ärmel hoch, band sich eine Schürze um und wirbelte mit
riesigen Töpfen durch die Küche, als wäre gerade eine Hundertschaft Gäste in
einer andalusischen Bodega eingefallen.
    Allerdings bekam dieser spanische Teil in ihr nie
wirklich genügend Raum, obgleich sie in Deutschland irgendwie auch davon
profitierte. Schließlich ist alles, was mit Spanien zu tun hat, bei uns recht
positiv besetzt – mal abgesehen von den Südamerikafeldzügen, der spanischen
Inquisition, dem zweiten Irak-Krieg, dem Stierkampf und Julio Iglesias. Die
Spanierinnen und Spanier gelten ja gemeinhin als rassig und temperamentvoll,
ohne dass sie auch nur einmal den Mund aufmachen müssten. Sie tragen Namen, die
wie Oden an stolze Könige klingen, auch wenn sie auf kein deutsches
Klingelschild passen: Manuel Rodríguez García de la
Vázquez oder Carmen Luisa Gómez Solana. Doch vor allem erinnern diese Namen an den letzten Sommerurlaub, als man
ganz ohne Socken, mit duftender brauner Haut bis tief in die Nacht vor der
Strandbar gesessen und mit Carlos, dem netten Kellner, gewitzelt hat. Wer dieses
Gefühl der Leichtigkeit allein mit seinem Namen auslösen kann, ist ein
Glückspilz.
    Natürlich gehörte es für eine Spanierin wie Lucia
auch dazu, auf Partys − ob willens oder nicht − zu den Gipsy Kings (die ja
eigentlich Franzosen sind) in den Kreis der rhythmisch Klatschenden auf der
Tanzfläche hineinzutanzen und die wilde Flamencosau zu geben, was sie auch fast
immer tat. Nur waren das alles gutgemeinte stereotype Assoziationen und
Forderungen, die ein echtes spanisches Lebensgefühl nicht ersetzen konnten. Das
konnte ich gut nachvollziehen, aber würde sie das ausgerechnet auf Mallorca
bekommen? Auf der Touristeninsel, wo die Einheimischen noch dazu einen
katalanischen Dialekt sprachen?
    Egal, es wird ja eh nichts, tröstete ich mich.
Schließlich hatte sie selbst abgewinkt.
    Es wurde aber doch was.
    Keine vierzehn Tage später fuhr Lucia nach
Palma de Mallorca zum Vorstellungsgespräch. Sie bekam den Job sofort und
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