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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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hängte
gleich noch ein paar Tage dran, um eine zentral gelegene Wohnung für uns zu
suchen. Ihr Chef sagte, in spätestens vier Wochen müsse sie ihren ersten
Arbeitstag antreten. Damit blieben mir gerade mal vier Wochen, um alle laufenden
Produktionen im Tonstudio abzuschließen und mit meinem Geschäftspartner Thomas
die Ausstiegsformalien zu klären. Außerdem sämtliche Versicherungen,
Handy-Verträge und sonstige Mitgliedschaften zu kündigen, aus Vereinen
auszutreten, Amtsgänge zu bewältigen, den Umzug zu organisieren, die Kölner
Wohnung renoviert zu übergeben und mich von Familie und Freunden zu
verabschieden.
    Nachdem ich einige Angebote von Umzugsunternehmen
eingeholt hatte, die uns jeweils fünfstellige Euro-Beträge nannten –
offensichtlich gingen sie davon aus, dass wir jeden Löffel einzeln per Business
Class übersetzen lassen wollten –, entschied ich mich für ein sehr
günstiges, eher kleines Unternehmen aus Brandenburg.
    Termine wurden von rechts nach links geschoben.
Ich koordinierte Handwerker, die Hausverwaltung, Nachmieter, eBay-Käufer und
Schrotthändler. Alles war auf die Minute getimt, trotzdem klappte es am Ende
nicht ganz: Lucia musste mit den Kindern vorfahren und vor Ort einen Babysitter
engagieren, bis ich eintraf.
    Ein Umzug mit Zwillingen im Alter von knapp
vierzehn Monaten ist ehrlich gesagt kein Spaß, schon gar nicht, wenn es ins
Ausland geht. Aber er bot auch einen willkommenen Anlass zur Inventur, um die
Habseligkeiten, die man sinniger-, vor allem jedoch unsinnigerweise über die
Jahre angehäuft hat, auszusortieren und auch mal emotional rein zu machen. Ob
Sammeln und Aufbewahren nun die richtige Strategie ist, um sich selbst immer
wieder Zeugnis darüber abzulegen, dass man gelebt hat, muss jeder für sich
entscheiden. Wenn man allerdings wie ich mit Mitte dreißig noch
Jaxon-Kreide-Bilder findet, auf denen halslose Männchen mit riesigen Händen vor
einem Haus in der Luft schweben und »Hallo, Oma!« rufen, sollte man sich
eventuell eingestehen, dass alles irgendwann ein Ende hat. Auch die eigene
Jugend – spätestens wenn man selbst Vater ist.
    »Guten Tag, hier spricht Ihr Kapitän. Ich
begrüße Sie herzlich auf unserem Flug von Köln-Bonn nach Palma de Mallorca.«
    Die tiefe, sonore Stimme des Piloten reißt mich
aus meinen Gedanken, und ich werfe meinem Nebenmann einen Blick zu. Er hat
inzwischen die Lehne seines Sitzes nach hinten gestellt.
    »Wir haben gerade Deutschland verlassen
und …«, fährt der Flugkapitän mit seinem Bericht aus dem Cockpit fort, doch
ich höre ihm schon gar nicht mehr zu.
    Tja, dann zähle ich ab jetzt wohl offiziell zu
den über zwanzigtausend Auswanderern, die Deutschland in Richtung Mallorca
verlassen und ihre Zelte dort aufgeschlagen haben, denke ich, während mir
langsam die Augen zufallen. Eigentlich weiß ich über die Insel gar nichts. Bei
dem leicht zerfransten, überalterten Reiseführer, den ich noch schnell für zwei
Euro aus einem Antiquariat mitnahm, bin ich über die frühgeschichtlichen
Einstiegsinfos nicht hinausgekommen. Und selbst die habe ich komplett vergessen.
Einzig die Tatsache, dass Mallorquiner sich als geschickte Steinschleuderer in
karthagischen und später römischen Heeren hervortaten, ist mir in Erinnerung
geblieben. Beim schnellen Googeln poppte dafür sofort eine beunruhigende Zahl
auf: zehn Millionen Touristen pro Jahr. Davon fast vier Millionen aus
Deutschland. Vielen werde ich dort vermutlich begegnen. Wie oft hörte ich den
Satz, dass sich allein halb Köln auf den Balearen herumtriebe.
    Ohnehin ist Köln an allem schuld. Früher hat es
gereicht, wenn einer auf dem Schulhof mit einer Selbstgedrehten im Mundwinkel
sagte, er sei am Wochenende in Köln gewesen. Sofort sahen ihn die anderen aus
der kleinen, verschworenen Stehrunde ehrfürchtig an. Ob er mit seiner Mutter da
war, um neue Schuhe zu kaufen, oder mit Freunden in einer Table-Dance-Bar,
musste nicht weiter erörtert werden.
    Vielleicht wollte ich als Bonner, nachdem ich
Geographie in Münster studiert hatte, dem Mythos Köln bloß endlich auf die Spur
kommen und herausfinden, was an dieser Überhöhung dran war. Jedenfalls zog ich
kurz entschlossen in die Nähe des Rudolfplatzes, zusammen mit Jörg, einem eher
unauffälligen Juristen aus meinem entfernteren Bekanntenkreis, der damals
zufällig ebenfalls nach Köln wollte, um seine Doktorarbeit zu schreiben. Etwas
fahrlässig von mir, wie sich bald herausstellen sollte.
    Jörg schnitt
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