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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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anderen Puristen sicher eine Zumutung wäre. Bei »Sweet home Chicago« tanzt der ganze Saal. Prude wippt selbstvergessen, und hinten hat sich sogar Howard erhoben und singt lauthals mit.
    »Ohoo-oo, baby don juan a go.« Jaume ist auf dem Höhepunkt angelangt. Es folgt ein letzter Turnaround und danach ein langes Schrummeln zum Finale, bei dem Jaume in der Kopfstimme unfassbare Jodler intoniert. Der finale Anschlag. Dann ist es vorbei. Tosender Applaus bricht los.
    Jaume kommt auf mich zu, legt mir einen eisernen Arm um die Schulter und zieht mich an sich heran. Den anderen Arm in Richtung Publikum ausgestreckt, formt er mit den Fingern das Victory-Zeichen. Ich sehe zu ihm hinüber. Einer der Scheinwerfer ist genau auf sein Gesicht gerichtet und ich sehe die Schweißperlen, die ihm über die Stirn laufen. Immer wieder walkt er mit der aufliegenden Hand meinen Nacken. Das ist sicher als Aufmunterung gedacht oder seine persönliche Art, Danke zu sagen, doch ich muss kurz aufpassen, um nicht vor Schmerzen auf einer Seite einzuknicken. Endlich lässt er von mir ab. Ich lasse den Blick übers Publikum schweifen, betrachte die vielen Armpaare über den Köpfen. Einige Leute singen: » Otra, otra , Zugabe, Zugabe.« Das lange, rhythmische Klatschen der Zuhörer wirkt hypnotisierend auf mich. Stück für Stück führt es mich weg von der Bühne, in einen inneren Raum, in dem es klingt wie ein aus der Ferne tickendes Metronom.
    Fast zwei Jahre sind wir jetzt hier. Eine nicht immer einfache Zeit. Erst der kurze, dafür aber schmerzvolle Abschied aus Deutschland. Die Auflösung der Firma. Berufliche Unwägbarkeiten. Dann die laute Stadtwohnung und der Ärger mit Pau. Lucias neuer Job, die schreienden Kinder. Schließlich das Dorf mit dem Geisterhaus. Der fiese Winter. Die mürrischen Nachbarn. Das Ungeziefer. Heimweh.
    Doch das sind nur ein paar Blüten, die die Insel getrieben hat. Mallorca kann viel mehr sein, wenn man es lässt. Eine Frau, auf der schon viele drauf waren, das Epizentrum des abgeschmackten Tourismus, das herrlichste Eiland auf der ganzen Welt, ein vielseitiges Wanderparadies oder ein bezahlbarer und gut zu erreichender Kompromiss für den Familienurlaub. Doch vor allem ist die Insel eins: eigen. Sie ist nicht ganz spanisch und schon gar nicht deutsch, vor allem aber gar nicht schlecht. Ich persönlich betrachte die beiden Jahre als Übergang. Von schnell zu langsam, von nass zu trocken, von flach zu bergig, von konzentriert zu zerstreut, von unverbindlich zu verbindlich, was Lucia und die Kinder betrifft, und von verbindlich zu unverbindlich in Bezug auf alle anderen.
    Komponiert man einen Song, dann sind die Übergänge immer am schwersten. Ganze Teile, etwa die Strophen oder der Refrain, mögen in sich stimmig und wunderschön sein, aber einen Übergang zu schaffen, der sanft von einem Teil zum anderen überleitet, ohne aufdringlich, konstruiert oder banal zu wirken, ist die eigentliche Kunst. So schwer und unmöglich die Übergänge und Wechsel sich auch anfühlen müssen, sie sind die eigentlichen Herausforderungen, auf die wir später voller Wonne und Glück zurückblicken. Im Song unseres Lebens.
    Joan Carles schaltet das Saallicht an. Es ist, als hätte ein Hypnotiseur auf null gezählt. Erst jetzt merke ich, dass ich die Gitarre die ganze Zeit wie einen Speer über den Kopf gehalten habe.
    Jaume dreht sich zu mir um. »Wie wär’s, wenn ich euch vier mal zu mir nach Hause zum Essen einlade? Ich koche ganz gut«, sagt er augenzwinkernd.
    »Wird aber auch Zeit, wir kommen gerne«, sage ich.
    Lucia stellt die Kinder auf die Bühne.
    Luna und Sophie klammern sich umgehend an meine Beine und rufen: »Papi, Papi!«
    »Ja«, sage ich und stelle die Gitarre ab. »Lasst uns noch ein bisschen zusammen mit Jaume, Jochen und Prude feiern. Danach gehen wir nach Hause, okay?«
    »Für Bluesgejammer war das gar nicht mal so übel.« Jochen ist mit Silvia zur Bühne gekommen. »Ich bin fast ein bisschen traurig, dass euer Konzert schon vorbei ist.«
    »Das Konzert ist zwar vorbei«, sage ich, hüpfe von der Bühne und hebe die Zwillinge sachte herunter, »aber irgendwas sagt mir, dass alles andere genau in diesem Moment erst richtig anfängt.«
    Ich lege einen Arm um Lucia, den anderen um Jochen, und so schlendern wir gemütlich aus dem Theater, wobei ich ganz leicht ihre Nacken walke.

Danksagung
    Fast alle dieser Geschichten sind tatsächlich passiert. Einige wurden allerdings gestreckt oder zusammengeschoben,
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