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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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der anderen einen losen Blätterhaufen mit wilden Markierungen,
Kommentaren und sehr großen x-artigen Gebilden. Kein Zweifel: Es handelte sich
um die Zeugnisse. Die Pupillen des Chefredakteurs waren von der ganzen Aufregung
geweitet, und als wollte er noch bedrohlicher erscheinen, stellte er sich auf
die Zehenspitzen. Er schäumte förmlich über vor Wut. Vor allem in den
Mundwinkeln.
    »Diesse Unde, was erlauwe esieh esiss! Ih chabe
diesse Unde vor viele Jahre von de Strasse ge-olt. Ih! Konnte kein Deutss,
konnte nix! Und jez läääse ih diesse Eseugniss und esieh tue eso, als wäre esieh
eselwst Chefe, joder !«, brüllte er.
    Mit »Unde« meinte er offensichtlich seine
Mitarbeiter.
    »Alles estreiche, alles neu. Drei Essäze, nada más . Muss cheiße: Señor X at gearweitet von danne
bis danne, wir wunschen alles Gute, fertik!« Herr Nada zog die Tür mit einem
lauten Rums zu und war verschwunden.
    Ich sah Inés an, die abwesend auf ihren
Tischkalender starrte. » Cabrón , viele chabe ier uber
funfzehn Ejarre gearweitet.«
    »Warum redet Señor Nada eigentlich immer
deutsch?«, fragte ich.
    »Weil er die Deutsen fur gebildet und kultiviert
ält. Un alle Espanier fur ihn Unde sind.«
    Da kam Lucia herein. »Was ist denn hier passiert?
Ist jemand gestorben?«
    »Nichts«, sagte ich, »bloß ein kleines Problem
mit den Zeugnissen.«
    »Apropros, ich habe dir meins mitgebracht.« Damit
legte sie mir ein mehrseitiges Manuskript auf die Schreibtischkante.
    Ich sah Lucia genau an. In den letzten Tagen war
sie häufiger zu uns ins Vorzimmer gekommen, angeblich weil sie irgendwelche
Akten suchte, und nicht ein einziges Mal hatte sie das Büro ohne eine provokante
Bemerkung in meine Richtung verlassen. Doch ich war stets äußerlich ruhig
geblieben. Hatte mich nicht darauf eingelassen. Selbst wenn ich hätte kontern
wollen, mir wäre beileibe nichts eingefallen. Dafür wühlte diese Frau mich viel
zu sehr auf, machte mich irgendwie nervös und sprachlos.
    Einmal hatte ich sie in einem der zahlreichen
Gänge gestellt und gefragt, ob wir mittags zusammen in der Kantine essen gehen
wollten, so von Kollege zu Kollegin. Was war an Bohneneintopf und Kassler schon
verfänglich? Doch Lucia watschte mich augenblicklich ab, indem sie an fünf
Bürotüren klopfte und alle darin befindlichen Redakteure einlud, mit ihr und
»dem Neuen« in die Kantine zu gehen. Am Ende waren wir zwölf Personen, und Lucia
war durch einen fünf Meter langen Tisch von mir getrennt.
    »Ich kann dir gleich sagen, dass der Chef dein
Zeugnis zusammenstreichen wird«, warnte ich sie und griff nach dem Papier. »Aber
ich schaue mal, was ich machen kann.« Dann lächelten wir uns an. Zum ersten Mal
gleichzeitig.
    »Danke, Man in black«, sagte Lucia.
    »Man in black?«, fragte ich.
    »Ja, seitdem du hier arbeitest, hast du jeden Tag
schwarze Sachen an. Ist das ’ne Phase, oder so?«
    »Ja, aber nicht von mir, sondern von meiner
Waschmaschine. Die ist nämlich kaputt.«
    Das war der einzige lauwarme Scherz, den ich in
den drei Monaten im Sender machte. Doch er reichte, um Lucia zum Lachen zu
bringen, und bewegte sie dazu, mir an unserem letzten Arbeitstag ihre
Mailadresse auf den Handteller zu schreiben. Ein Schritt, der unser beider Leben
für immer verändern sollte.
    Als ich Herrn Nada Lucias ausführliches Zeugnis
mit der Bitte überreichte, in diesem Fall ein wenig Milde zu zeigen, schnalzte
er nur mit der Zunge. Beschwingt ließ er das Zeugnis in eine der
Schreibtischschubladen gleiten und sagte: »Keine Esorge, ih kummere mih
personlich darum, Eschinken- oder Käse-Sandwich?«
    »Wie bitte?«, hüstele ich verpennt und öffne
die Augen einen Spalt breit.
    »Möchten Sie lieber ein Schinken- oder ein
Käse-Sandwich«, fragt die Stewardess mich noch einmal mit geduldigem Lächeln.
Ihr Gesicht befindet sich nun direkt vor meiner Nase.
    »Ach so, Käse bitte.« Ich setze mich aufrecht hin
und klappe den kleinen Tisch herunter.
    Der Cowboy neben mir nimmt Schinken.
    »Was möchten Sie trinken?«, fragt die Stewardess
nun.
    »Einen Orangensaft, bitte«, sage ich und grinse
sie verliebt an.
    Dabei denke ich, dass das Bordpersonal bei den
Billig-Airlines nicht ganz so gut aussieht wie bei den teuren. Aber es ist mir
egal, denn heute könnte ich die ganze Welt umarmen. Schließlich bin ich in knapp
eineinhalb Stunden bei meinen Liebsten, und das ist das Wichtigste. Zudem freue
ich mich mittlerweile doch ein bisschen auf die Insel. Laut Internet gibt es
nämlich
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