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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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hingegen entschied
mich für ein Aufbaustudium in BWL und bekam prompt
einen Job in einer multinationalen Unternehmensberatung. Wenn sich der
Vorstandsvorsitzende der Firma einmal pro Monat mit einer E-Mail aus den USA meldete, prangte oben links in dem Fenster immer
sein digitales Passbild mit dem Gewinnerlächeln. Das Unternehmen schickte mich
auf Dienstreisen und zu Managerseminaren, wo ich gemeinsam mit anderen
Erwachsenen Rollenspiele, Übungen in Hochseilgärten und Schnitzeljagden über
mich ergehen ließ. Ich fühlte mich in der Branche so gut aufgehoben wie ein
Schaumkuss in der Mikrowelle.
    Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich die
Schnauze voll hatte, und je länger ich dort arbeitete, desto kühner wurden meine
Alternativpläne. Einmal waren Lucia und ich sogar kurz davor, nach Barcelona zu
ziehen – einfach so, ohne Job und doppelten Boden. Aber dann traf ich
Thomas, einen alten Schulfreund, auf einer Party. Er hatte gerade seine
Ausbildung zum Toningenieur beendet und war wie ich ein erfahrener Musiker, der
sich mit dem Thema Marktwirtschaft auskannte. Das passte. Gemeinsam eröffneten
wir ein Tonstudio im Kölner Süden, und Spanien blieb, wo es war: irgendwo hinter
den Pyrenäen.
    »Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr
Kapitän meldet sich wie angekündigt noch einmal mit einigen interessanten Infos
aus dem Cockpit.«
    Die knarzende Stimme des Piloten holt mich erneut
in die Gegenwart zurück, und ich versuche, über den Cowboy hinweg einen Blick
aus dem Fenster zu werfen. »Wir überfliegen gerade Frankreich, links können Sie
Lyon sehen«, erklärt der Pilot, und alle um mich herum spähen nach draußen.
    Zufrieden versuche ich die Beine im Gang
auszustrecken und muss grinsen, als mir wieder einfällt, wie mich damals die
Nachricht, dass wir Eltern von Zwillingen werden, förmlich aus den Schuhen
gehauen hat. Lucia war seit zehn Wochen schwanger, und bisher war alles
gutgegangen: keine Übelkeit oder Kreislaufprobleme, keine Schnappatmung und auch
keine Übergriffe auf meinen versteckten Süßigkeitenvorrat. Doch dann bekam Lucia
Blutungen, und wir machten uns so große Sorgen, dass wir gemeinsam zu ihrer
Gynäkologin Frau Dr. Schmitz-Kernig in die Praxis fuhren.
    Dort war es so hell, dass ich mir vorkam wie in
einem überbelichteten Bild. Noch dazu saß am Empfang eine mehr als seltsame
Frau: Kittel schneeweiß, Haare schneeweiß, Zähne schneeweiß. Hätte die
Arzthelferin kein solariumgebräuntes Gesicht gehabt, hätte ich sie von der Wand
nicht unterscheiden können.
    »Blutungen elf plus eins!«, skandierte Lucia,
kaum dass die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war.
    Mehr brauchte sie nicht zu sagen, um direkt zur
Frau Doktor durchgewunken zu werden. Aufgeregt stürmten wir an den vier prallen
Frauen, die im Gang warteten, und Dr. Schmitz-Kernigs ponygroßem
japanischen Akita vorbei. Er sah aus wie ein Schäferhund, dem jemand mit einer
Pfanne auf die Schnauze gehauen hatte.
    Drinnen ging dann alles furchtbar schnell. Lucia
kletterte auf den Stuhl, um sich Blut abschöpfen zu lassen, woraufhin mir leicht
unbehaglich in der Magengegend wurde, auch weil mich das Abschöpfgerät an eine
Soßenkelle erinnerte. Noch nie hatte ich eine meiner Freundinnen zum Frauenarzt
begleitet – und nun war mir auch klar, warum.
    »Frau Doktor, ist das Kind noch da?«, fragte ich
besorgt.
    Keine Antwort. Stattdessen präparierte Frau
Dr. Schmitz-Kernig seelenruhig den Ultraschallstab, den sie gleich darauf
behutsam in Lucias Schoß einführte.
    Mein Puls stieg, denn ich sah nur eine schwarze,
wabernde Masse auf dem Bildschirm. Das konnte nun wirklich alles sein, vom
Stromausfall in Utah über den Tiefseeboden bis hin zu dem, was der Serienkiller
im Keller bei Das Schweigen der Lämmer durch sein
Nachtsichtgerät sieht.
    Frau Dr. Schmitz-Kernig kurbelte am
Joystick, als würde sie einen Luxusliner in einen Hafen navigieren. Zu sehen war
dennoch nichts als Abgangs-Schwarz. Ich nahm Lucias Hand und sah sie an. Tapfer
lächelte sie mit tränennassen Augen. Mein Gott, war diese Frau schön.
    »Ah, Schatz!«, sagte die Gynäkologin plötzlich in
meine Richtung, und ich zuckte zusammen.
    »Wie bitte?«, fragte ich und blickte die Ärztin
verstört an. Was soll dieser Schlafzimmerjargon? Ich hatte diese Frau doch erst
zweimal vorher gesehen. Wohl etwas unangebracht in dieser Situation!
    »Hallo«, raunzte ein Mann mit rotem Schnauzbart,
der hinter mir unbemerkt den Raum betreten hatte. »Ich wollte nur
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