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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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mal kurz
reinschauen.«
    »Ah«, sagte ich.
    Lucia schwieg.
    »Schatz, ich komme hier nicht zurecht. Blutungen
elf plus eins«, sagte Frau Dr. Schmitz-Kernig. »Irgendwie habe ich heute
kein ruhiges Händchen. Willst du mal?«
    Wie? Was war das denn jetzt? Wer hat noch nicht,
wer will noch mal, oder was? Das hier ist kein Videospiel, sondern eine
Ultraschallsonde in meiner Frau, echauffierte ich mich innerlich.
    Ohne mich weiter zu beachten, krempelte der Herr
Doktor die Ärmel hoch, baute sich vor Lucia auf und machte sich ans Werk.
    »Da haben wir es!« Frau Dr. Schmitz-Kernigs
Stimme schwankte, trotzdem sprang ihre Erleichterung sofort auf uns über. Nun
war tatsächlich eine Art Made auf dem Bildschirm zu erkennen.
    »Das hier ist das Herz!« Der Herr Oberarzt zeigte
mit der Spitze seines Kulis auf einen winzigen Punkt innerhalb des Weißkörpers.
»Es ist ungefähr einen Millimeter groß.«
    Der Wurm war noch da, und er lebte! Ich sah das
ungefähr einen Millimeter große Herz meines Kindes schlagen. Es gab wieder Strom
in Utah, und jemand hatte das Licht angemacht.
    Lucia grinste. Ich grinste. Die Frau Doktor
grinste. Alle grinsten. Nur ihr Mann nicht.
    »Du kannst wieder«, wandte er sich an seine Frau,
die ihn glücklich anstrahlte.
    Ein kurzer, fester Händedruck und weg war er.
    Mir war spätestens jetzt klar, dass er der Kernig
von beiden sein musste.
    Und dann bemerkten wir alle drei gleichzeitig auf
dem Radar, am oberen Rand des Bildschirms, diesen kleinen, schaukelnden Klecks,
der dem ersten so ähnlich sah. Zunächst hielt ich ihn für einen Softwarefehler,
eine Pixelspiegelung vielleicht, einen alten Tampon oder worauf man in den
Untiefen einer Gebärmutter sonst noch so stoßen könnte, und maß ihm folglich
keine weitere Bedeutung bei.
    Aus purer Neugier fragte ich: »Doc, was ist denn
das da?«
    Die Antwort haute mich dann um und ließ mich den
Teppich des Behandlungsraumes küssen.
    Später sollten fast alle, denen wir diese
Anekdote erzählten, verständnisvoll nicken und sagen: »Jaja, bei der ganzen
Arbeit und den Kosten, die mit Zwillingen auf einen zukommen, kann man schon mal
umfallen.«
    »Da liegt ihr falsch«, entgegne ich immer, »es
war der schönste Augenblick meines Lebens.«
    Hatten Lucia und ich noch wenige Minuten zuvor um
das eine neue Leben gebangt, mit dem wir so gut es ging versuchten zu planen,
tat sich nun ein gleißend heller Vorhang vor mir auf. Ein weiteres Leben trat
wie aus dem Nichts dahinter hervor und zog wie ein gewaltiger energetischer
Strahl an meinem geistigen Auge vorbei. So, wie man angeblich das eigene Leben
an sich vorüberziehen sieht, kurz bevor man stirbt. Nur war es nicht meins.
    Die Bilder blieben schemenhaft. Ungenaue, aber
kraftvolle Andeutungen eines neuen Wesens, dessen Existenz noch zwei Sekunden
zuvor im Dunkeln gelegen hatte und das sich nun zwischen die bereits
geschriebenen Geschichten drängelte, um einen Platz auf diesem Planeten
einzufordern. Unfassbar! Dann, so schnell er sich geöffnet hatte, schloss sich
der Vorhang und ließ mich mit einem starken Kitzeln unter der Schädeldecke
zurück. Eine Art Superdroge, die mich in die Knie zwang.
    Als Lucia und ich wenig später wieder auf der
Straße standen, sagte keiner von uns ein Wort. Es war noch früh, aber schon
recht warm. Spatzen, Finken und Braunellen pfiffen. Ein Briefträger kam uns
entgegen, griff nach der zufallenden Tür und verschwand im Treppenhaus. Ein Mann
in einem kurzärmeligen Hemd rückte seinen Schlips gerade und stieg ins Auto. Er
hatte Schweißflecke unter den Achseln. Ein anderer kam mit einer Brötchentüte
aus einer Bäckerei. Die Croissants fetteten das Papier. Eine dürre Frau schloss
einen Kiosk auf und schob das Rollgitter hoch, wobei ich einen Blick auf ihren
Bauchnabel erhaschen konnte.
    Wieso bleibt ihr nicht stehen?, dachte ich. Wieso
werft ihr keine Rosenblätter? Wieso bietet mir hier niemand ein kühles Bier an?
Hallo? Hat denn niemand den Schuss gehört? Nehmt euch gefälligst an den Händen
und singt! Ich hatte gerade den intimsten Kontakt mit der Schöpfung, seit ich
denken kann. Wenn jetzt nicht die Welt innehält, wann dann? Zwillinge!
    Benommen torkelten wir immer weiter durch die
Fußgängerzone. Die Freude war einer gewissen Schwere gewichen. Einer guten
Schwere – wenn es so etwas denn gibt.
    »Ich brauche was zu essen«, brach ich irgendwann
unter höchstem Kraftaufwand das Schweigen.
    Lucia nickte, und wir bogen in eine
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