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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium
Autoren: Lauren Oliver
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Schlafzimmer, andere fast leer und von Regalen gesäumt: ein paar Dosen Bohnen, ein halb aufgebrauchter Sack Mehl und eine verstaubte Kaffeemaschine sind in einer Ecke gestapelt; in einer anderen Eimer, Kaffeedosen, ein Schrubber.
    Dann eine Biegung nach rechts und der Flur öffnet sich plötzlich zu einem großen Raum, in dem es viel heller ist als in den anderen. Entlang einer der Wände verläuft eine steinerne Spüle, ähnlich wie in meinem Zimmer. Darüber sind auf einem langen Regalbrett ein halbes Dutzend batteriebetriebener Lampen aufgereiht, die den Raum in warmes Licht tauchen. Mitten im Zimmer stehen zwei schmale lange Tische, an denen Leute sitzen.
    Als ich eintrete, bricht das Gespräch abrupt ab. Alle Augenpaare heben sich in meine Richtung und mir wird plötzlich bewusst, dass ich nichts anhabe außer einem langen, dreckigen T-Shirt, das gerade mal die Hälfte meiner Oberschenkel bedeckt.
    Im Raum sitzen auch Männer, Arm an Arm mit Frauen – Menschen jeden Alters, alle ungeheilt –, und das ist so seltsam und neu für mich, dass es mir beinahe den Atem verschlägt. Ich bin wie versteinert. Als ich den Mund öffne, um etwas zu sagen, kommt nichts heraus. Die Stille belastet mich, das Brennen all dieser Augen.
    Raven kommt mir zu Hilfe.
    »Du hast bestimmt Hunger«, sagt sie. Sie steht auf und macht einem Jungen am Ende des Tisches ein Zeichen. Er ist etwa dreizehn oder vierzehn – dünn, sehnig, mit ein paar Pickeln im Gesicht.
    »Squirrel«, sagt sie mit scharfer Stimme. Schon wieder so ein verrückter Spitzname – Eichhörnchen. »Bist du fertig mit Essen?«
    Niedergeschlagen starrt er seinen leeren Teller an, als könnte er mit Hilfe telepathischer Kräfte noch etwas Essen heraufbeschwören.
    »Ja«, sagt der Junge langsam und schaut zwischen dem leeren Teller und mir hin und her. Ich schlinge die Arme um meine Taille.
    »Dann steh auf. Lena muss sich irgendwo hinsetzen.«
    »Aber …«, setzt Squirrel zum Protest an, woraufhin Raven ihn anfunkelt. »Auf geht’s, Squirrel. Mach dich nützlich. Sieh nach, ob es neue Nachrichten bei den Nestern gibt.«
    Squirrel wirft mir einen mürrischen Blick zu, aber er steht auf und bringt seinen Teller zur Spüle, wo er ihn klappernd auf dem Stein abstellt. Daraufhin ruft Raven, die sich wieder hingesetzt hat: »Wer zerdeppert, zahlt«, was vereinzeltes Gekicher hervorruft, und der Junge stapft demonstrativ die Steinstufen am anderen Ende des Raums hinauf.
    »Sarah, gib Lena was zu essen.« Raven hat sich wieder ihrem Teller zugewandt, auf dem ein Haufen grauer Brei thront.
    Ein Mädchen springt eifrig hoch wie ein Stehaufmännchen. Sie hat riesige Augen und ihr Körper ist dünn und drahtig. Eigentlich sind alle hier im Raum ziemlich mager – überall sehe ich hervorstehende Ellbogen und Schultern, Ecken und Kanten.
    »Komm, Lena.« Sarah scheint es zu genießen, meinen Namen zu sagen, als wäre das ein besonderes Privileg. »Ich mach dir einen Teller fertig.« Sie zeigt in die Ecke: Auf einem alten Holzofen stehen ein riesiger verbeulter Kochtopf und eine verzogene Pfanne mit Deckel. Daneben sind lauter verschiedene Teller und Platten – außerdem ein paar Schneidbretter – durcheinander aufgestapelt.
    Das bedeutet, dass ich den Raum wirklich betreten und an beiden Tischen vorbeigehen muss. Meine Beine haben sich vorher schon wackelig angefühlt, aber jetzt fürchte ich, dass sie jeden Moment unter mir wegknicken. Eigenartigerweise fühlt sich der Blick der Männer anders an. Die Augen der Frauen sind durchdringend, abschätzend; die der Männer wärmer, drückender, wie eine Berührung. Ich bekomme kaum Luft.
    Unsicher gehe ich zum Ofen hinüber, neben dem Sarah steht und mir aufmunternd zunickt, als wäre ich ein kleines Kind – obwohl sie selbst kaum älter als zwölf sein kann. Ich halte mich so nah wie möglich neben der Spüle – sollte ich stolpern, will ich mich schnell irgendwo festhalten können.
    Die meisten Gesichter im Raum nehme ich nur verschwommen wahr, aber ein paar fallen mir auf: Ich sehe Blue, die mich mit weit aufgerissenen Augen ansieht; einen Jungen mit wilden blonden Haaren, der etwa in meinem Alter sein muss und aussieht, als würde er jeden Moment anfangen zu lachen; einen etwas älteren Jungen mit missmutigem Gesichtsausdruck; eine Frau mit langen rotbraunen Haaren, die ihr offen über die Schultern fallen. Einen Augenblick begegnen sich unsere Blicke und mein Herzschlag setzt aus. Ich denke: Mom . Der Gedanke,
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