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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter
Autoren: Felix Timmermans
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bewundernd vor ihrem Leben. Wie sie dick waren vom Saft, wie er in ihrem Holz eingeschlossen saß, drückte und zappelte, um frei zu sein, vor Gewalt die Äste aufpreßte, sie schießen und klettern, drehen und beugen, ringen und sich schlängeln machte vor Leidenschaft; und da, wo er dann endlich die Rinde riß und Sonne sah, versteifte er sich zu einem Blatt, zu einer Blume, zu einer Frucht. Die Bäume sind die Hände der Erde.
    Pallieter stieß einen Seufzer aus; er hätte einmal ein Baum sein mögen, um das volle Brausen des erwachenden Erdenlebens in seinem Leib zu fühlen. Hei! und einer war dabei, eine riesige Ulme, tausend Jahre alt, in grauem Wasser watend, die ließ Pallieter ausrufen: »Noch nie hat Gott sich so deutlich gezeigt!«
    Er war wie ein aus dem Boden gebrochener Nervenstrang der Erde. Er war in zwei Teile zerkracht, voller Löcher und Risse, grün wie ausgeschlagenes Kupfer, beklebt mit Moospflastern und dickem Schwamm, umkleidet von Efeu, und oben auf einem der auseinander gespaltenen Stücke waren aus einem alten Büschel Gras ein paar Gänseblümchen herausgewachsen, eins noch in der Knospe und ein anderes milchweiß aufgeblüht, die Spitzen des Krönchens rot, wie in Wein getaucht.
    Und Pallieter, ergriffen von all dem wilden, barbarischen, übermütigen Leben, das so reich zusammengepreßt saß in dem lebensvollen Baumklumpen, schlang die Arme um ihn und sagte gerührt: »Bruder Baum, Bruder Baum!«
     
    Als Pallieter auf einem Gehöft Mittag tuten hörte, war er so hungrig und so weit von zu Hause weg, daß er auf das Gehöft zuging, um dort zu essen. Doch die Nethe lag dazwischen, sie war ganz niedrig; ein Bächlein zwischen glatten Bäuchen von glänzendem Schlamm. Er streifte die Hose bis über die Kniee, steckte in jede Hosentasche einen Schuh und watete durch den niedrigen Fluß.
    Hinter einem grünen Weihergraben, in dem gefällte alte Bäume lagen, erhob sich die altmodische Scheune, mit Türmchen an beiden Seiten. Ein Schaf steckte den Kopf durch einen Ritz in der Mauer und betrachtete Pallieter mit blödem Blick; wo das Wasser etwas klarer war, zog ein stolzer Schwan daher, treu gefolgt von einem grünen quakenden Entchen. Ein Knecht stand bis an die Kniee im Wasser, um Aale zu stechen, und hinter der Scheune und dem Weiher glänzte unter hohen schwarzen Bäumen das weiße Haus. Pallieter schritt über das Holzbrückchen und fragte die dicke Bäuerin, die an der Tür in einem blauen Faß Butter stampfte, ob er mitessen dürfe.
    »Natürlich, Pallieter,« sagte Sophie, »komm nur herein!« Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und wies ihm einen Platz an dem langen eingesunkenen Tisch, der mit etwa vierundzwanzig Tellern bedeckt war. Von allen Seiten, aus Scheune, Stall und Feld kamen die Leute, Männer und Frauen, und setzten sich um den Tisch herum. »Ich muß von jedem eine Kartoffel haben!« sagte Pallieter. »Sie is Euch von Herzen gegönnt!« riefen sie zurück. Sophie brachte die dampfenden Kartoffeln und wohl fünfzehn Meter Wurst, die in der Pfanne brutzelte.
    Da klopfte der magere Bauer mit der Gabel an seinen Teller, und darauf entstand eine tiefe Stille, in der das scharfe Stimmchen eines aufrechtstehenden Mädchens das Vaterunser betete. All die rauhen Hände waren gefaltet und die Augen niedergeschlagen. Draußen gackerte ein Huhn, das ein Ei gelegt hatte. Als das Gebet zu Ende war, fingen alle an zu essen. Pallieter schielte vor Hunger, denn das eine Butterbrot von heute morgen war schon lange verdaut. Er füllte sich den Magen mit dreißig schönen, gelben Kartoffeln, die alle gut Platz fanden, und trotzdem blieb von der Elle Wurst nichts übrig als das Zipfelchen mit einem Faden dran; das bekam die Katze.
    Während sie noch beim Essen waren, hörten sie im Hof das Brummen von Dudelsäcken und das Trillern einer grellen Hoboe. Jauchzend sprangen sie alle auf und liefen hinaus. Es waren vier Zigeuner, drei mit Dudelsäcken und der vierte mit einer Hoboe. Die Männer spielten, ohne etwas zu sagen, gleichgültig weiter. Sie waren schmutzig und ungewaschen, mit Lumpen und Lappen bedeckt, mit bunten Halstüchern und Federn auf den Hüten. Sie rochen nach Luft und Erde. Pallieter war ganz erschlagen von der Schönheit ihrer Musik. Die Dudelsäcke brummten dreistimmig schleppende Akkorde, und das freie und helle Piepen der Hoboe tanzte dazwischen, trillernd und hüpfend, wand sich drumherum und gab so dem unbestimmten Brummen der Dudelsäcke feste Gestalt. An die
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